post, pack und päckchen von WIGLAF DROSTE:
Manchmal klingelt es an der Tür, durch die Gegensprechanlage sagt eine Stimme „Die Post, ein Paket für Sie“, und dann bringt ein Mann tatsächlich ein Päckchen oder ein Paket. Ungläubig nehme ich es entgegen und bin mir sicher, dass ich träume. Denn dass die Post ein Päckchen bringt, gehört einer vergangenen, versunkenen Zeit an, das kommt im Jahr 2005 eigentlich nicht mehr vor.
Traditionell sah die Praxis der Paketzustellung so aus: Man war zu Hause gewesen und bekam mit der Post ein Benachrichtigungkärtchen zugestellt, dass man nicht zu Hause gewesen sei und deshalb das Päckchen selbst bei einer Filiale der Post abzuholen habe – gern auch mit dem Zusatzvermerk „heute jedoch nicht“. Diese Verfahrensweise wurde aufgegeben, als die Post beschloss, sämtliche Dienstleistungen heimlich und auf kaltem Wege schlicht zu verweigern.
Seitdem werden Päckchen und Pakete in möglichst weit entfernte Zeitungs- und Schreibwarenläden abgekippt oder in obskuren Brillenstudios hinterlegt. Benachrichtigungen darüber werden allenfalls unregelmäßig zugestellt, schließlich wird der Postkunde irgendwann einmal des Weges gelaufen kommen und beim Erwerb einer Zeitung oder eines Brillenetuis vom ratlosen Einzelhändler gefragt werden, ob er vielleicht eine Sendung erwarte, seit Wochen liege ein herrenloses Paket unter dem Ladentisch herum. So kommt der Postkunde, der schon alle Hoffnung hatte fahren lassen, doch noch zu seinem Paket.
Einige hundert Meter von meiner Wohnung in Kreuzberg entfernt betreibt Herr Ioannis Sotiriadis den Lebensmittel- und Feinkostladen „Jannimu“. Er bietet dort köstliche Thunfisch-, Peperoni-, Auberginen- und andere Pasten an, eingelegten Oktopus und Sardellen, Oliven, Brot, Halloumi, Öl, Wasser, Säfte und Wein, und seine Kaffeemaschine steht quasi nicht still. Die ganze Nachbarschaft holt sich ihren Kaffee in dem kleinen mediterranen Laden oder trinkt ihn gleich dort.
Das tun auch die Paketzusteller, die Herrn Sotiriadis und seinen Laden zur Päckchenaufbewahrungsstelle erklärt haben. Wozu noch einen Paketempfänger informieren, wenn er ohnehin zum Kaffeetrinken und Einkaufen im „Jannimu“ vorbeischauen wird? Zumal ja Herr Sotiriadis so freundlich ist, mich über den Eingang jeder Postsendung zu informieren. Die Nachrichten, die mir die Post verweigert, bekomme ich von ihm per SMS: „Päckchen!“, „Gruner + jahr paket“ oder „Paket!“, schreibt er, und ich setze mich in Marsch und gehe schöner Post und gutem Kaffee entgegen.
Indem sich die Post aus meinem Leben zurückzieht, macht sie mir das Leben als Postkunde wieder erfreulich. Die Post hört nicht nur auf, ihren angeblichen Service anzubieten – sie überträgt ihn ganz auf Kundigere, die ihn nebenher erledigen. Das Unternehmen Post hat längst kapituliert, und es wäre Unsinn zu glauben, diese Dienstleistung käme zurück – das ist passé und perdü, siebzig verweht, die Schiene, und das ist gut. Denn vorbei sind damit auch die Zeiten der Verzweiflung über schurkisches Zustellergebaren. Man muss das eben privat organisieren – und siehe, es geht sehr gut. Eben ist wieder eine SMS eingetroffen, Herr Sotiriadis schreibt: „Der Grieche hat 3 pakets.“
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