kabinenpredigt: Sarah BSC
Vor einigen Tagen kramte ich in alten Tagebüchern und stieß auf den 5. 5. 1979: Mein allererstes Hertha-Spiel im Olympiastadion – vor 26 Jahren.
Ich war mitten in der Pubertät, verpickelt und mit fettigem Haar geschlagen, doch das fiel nicht besonders auf, denn genau das war die aktuelle Mode: Pickel und strähniges Haar. Oder Afrolook und Schnurrbart, aber damit konnte ich nicht dienen.
Zu dem Spiel Hertha BSC gegen Werder Bremen ging ich nicht etwa, weil mich Fußball besonders interessiert hätte, nein, ich war eingeladen, von einem Jungen, der Herchi genannt wurde. Herchi war mein großer und sehr heimlicher Schwarm.
Hertha hatte damals einen ähnlich guten Lauf wie bis zum Samstagsspiel bei Hansa Rostock in der aktuellen Saison. Hertha war unter Trainer Klötzer, „Ritter Kuno“, dem Haudegen alter Art, sogar im Uefa-Cup-Halbfinale, dass allerdings verloren wurde. Keine Schande gegen Roter Stern Belgrad.
Klasse Spieler tummelten sich an diesem Samstag im Mai 79 auf dem Feld. „Funkturm“ Uwe Kliemann, „Ete“ Beer und im Tor natürlich der ewige Zweite, Norbert Nigbur.
Doch ich hatte keine Zeit für das Spiel, das im Übrigen 1:0 verloren wurde. Ich hatte nur Augen für Herchi. Ach, war der süß. Und ich saß direkt neben ihm! Ganz, ganz nah. Nie zuvor waren wir so intim. Gemeinsam aufspringen bei einer Chance von Hertha, gemeinsam den Schiedsrichter beschimpfen und in der Pause olle Bratwurst holen.
Und da ich Herchi so über alles liebte, war ich von da an auch Herha-Fan. Muss so etwas wie ein Pawlow’scher Reflex gewesen sein. Herchi und Hertha, das war eins in meinem hormonüberflutetem Hirn.
Alles war wunderbar, bis auf den Weg nach Hause. In der überfüllten U-Bahn hatte ich Angst, Hertha-Frösche schaukelten die Wagen fast aus den Schienen, und soo nah wollte ich dann doch nicht an Herchi dran sein.
Wenige Wochen später brach er mir sowieso das Herz. Doch immer wenn Hertha verliert, muss ich an ihn denken und an Klötzer, der so schön sagte: „Wenn wir nicht 0:1 zurückliegen würden, könnten wir 1:0 führen.“
Genau! SARAH SCHMIDT
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen