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Radioactivists – Protest in Japan since Fukushima Deutschland 2011, R: Julia Leser & Clarissa Seidel

Auf der Berlinale wurden auch drei japanische Dokumentarfilme über die Reaktionen des Landes auf das Reaktorunglück von Fukushima gezeigt. Zumindest den Essayfilm „No Man Zone“ hält der Kollege Stefan Reinecke für auch künstlerisch gelungen. Er nannte ihn in der taz „eine kluge Reflexion über Bilder von sichtbarem und unsichtbarem Unglück“. Zur Zeit des Unglücks waren zufällig auch die beiden deutschen Filmemacherinnen Julia Leser und Clarissa Seidel in Japan. Ein paar Wochen lang haben die beiden im April und Mai die aufkommenden Protestaktionen dokumentiert.

Wer hier „Reflexionen“ oder eine tiefere Ebene sucht, wird schnell enttäuscht. Die filmischen Mittel sind simpel. Gezeigt werden die Vorbereitungen der Aktivisten, ein paar von deren Diskussionen, dann die Demonstrationen und eine Handvoll von Journalisten, Wissenschaftlern, Aktivisten und Bloggern, die offensichtlich selber zur Bewegung gehören und direkt in die Kamera ihre Erklärungen abgeben. Da wird eindeutig zu viel doziert, und auch die schematische Montage des Films ermüdet, sodass er viel länger als seine 72 Minuten wirkt.

Interessant wird er dagegen, wenn man ihn als eine Studie der japanischen Demonstrationskultur versteht. Im Grunde wird hier deren Geburt dokumentiert, denn seit den 70er Jahren gab es kaum spontane öffentliche Protestaktionen in Japan. Eine Gruppe von Aktivisten, die ihre Bewegung den „Aufstand der Amateure“ nennen, haben in Koenji, einem alternativen Viertel Tokios, einige Keime einer Gegenkultur gehegt und gepflegt. Ihr Ehrgeiz scheint dabei eher stilistisch als inhaltlicher Natur zu sein, und so sieht man im Film, wie die Aktivisten ihre Demonstrations-Kostüme nähen, und sich Gedanken darum machen, wie sie die Kundgebung mit dem Schwenken eines besonders schönen Banners ästhetisch reizvoll beenden könnten. Einer von ihnen hat den klassischen Oldie „Summertime Blues“ mit einem neuen japanischen Text gegen die Atomkraft umgedichtet, in der Demo fahren Discowagen mit, in denen Discjockeys an ihre Tellern scratchen und so erinnert eine der Demos eher an die Love-Parade als an Protestaktionen in Europa oder den USA.

Anrührend komisch wirken die auch die Diskussionen der Aktivisten, die etwa darüber geführt werden, ob die Demonstranten sich vorher in einem naheliegende Park sammeln „dürfen“. Auf dieser Ebene ist der Film zum Teil erstaunlich unterhaltsam. Die beiden Filmemacherinnen haben sich offensichtlich wohl unter diesen jungen, kreativen und auch ein wenig rebellischen Japanern gefühlt. Der Film ist eine Liebeserklärung an sie – doch von der Ungeheuerlichkeit Fukushimas spürt man in ihm kaum etwas.

Heute Abend stellen Julia Leser und Clarissa Seidel um 20.30 Uhr im City 46 ihren Film selber vor. Er wird dort auch am Sa um 18 Uhr sowie So, Mo & Mi um 20 Uhr gezeigt werden

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