Das digitale Dilemma der Politik

NETZWELT Soll sich der Staat um die Sicherheit im Internet kümmern oder sich raushalten? Darüber ist die digitale Gesellschaft uneinig

„Der Unerfahrene fordert Schutz, wer sich sicher fühlt, Freiheit“

DIVSI-DIREKTOR MATTHIAS KAMMER

VON SEBASTIAN FISCHER

BERLIN taz | Das Internet revolutioniert den Alltag, es sollte möglichst allen zur Verfügung stehen – so weit reicht der politische Konsens. Wie aber soll die Politik das Dilemma von Freiheit und Schutzbedürfnis im Netz auflösen, das sich aufgrund unterschiedlichen Netzbedarfs ergibt? Hier stehen jene, die sich selbstverständlich im Netz bewegen und Eingriffe des Staates ablehnen, denen gegenüber, die sich der Online-Welt verweigern, weil sie um ihre Sicherheit fürchten.

Das belegt eine am Dienstag präsentierte Studie, die das Sinus-Institut im Auftrag des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (Divsi) erstellt hat. Während gerade die „digitalen Eingeborenen“ den einzelnen Nutzer in der Verantwortung sehen, wollen die „digitalen Außenseiter“ Lösungen vom Staat, was die Sicherheit betrifft. Sie fürchten um ihre Daten oder haben Angst, auf unseriöse Angebote hereinzufallen.

Das Divsi wurde 2011 von der Deutschen Post AG gegründet. Schirmherr war bis zu seiner erneuten Nominierung als Bundespräsidentschaftskandidat Joachim Gauck. Die Deutsche Post AG hat selbst ein Interesse am digitalen Sicherheitsempfinden. Sie bietet den E-Post-Service an, eine kostenpflichtige Alternative zur E-Mail, die mehr Datenschutz verspricht.

Das Sinus-Institut ist bekannt für seine Unterteilung der Gesellschaft in soziale Milieus – zum Beispiel in das hedonistische Milieu der Spaßgeneration oder das traditionelle der Kriegsgeneration. So eine Einteilung hat das Institut nun erstmals auch für die digitale Gesellschaft vorgenommen. Grundlage ist die Befragung von etwas mehr als 2.000 Menschen in Deutschland.

Fast 40 Prozent der Bevölkerung zählen demnach zum Kreis der digitalen Außenseiter. Oftmals aus Sicherheitsgründen verschließen sie sich dem Internet komplett oder nutzen es nur in seltenen Ausnahmen. Ihnen gegenüber stehen die digitalen Eingeborenen, die ebenfalls rund 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen oder lange vertraut. Sie machen sich weit weniger Sorgen um ihre Sicherheit und lehnen staatliche Reglementierung oft kategorisch ab. Zwischen diesen beiden Gruppen stehen die digitalen Immigranten, die zwar regelmäßig im Internet surfen, der Netzwelt aber mit Skepsis gegenüberstehen und etwa um ihre Privatsphäre besorgt sind.

„Wer sich im Internet nicht auskennt, fordert Schutz, doch wer sich sicher fühlt, wünscht Freiheit. Die große gesellschaftspolitische Herausforderung liegt also darin, diese unterschiedlichen Welten zu versöhnen“, sagte Divsi-Direktor Matthias Kammer bei der Präsentation in Berlin. Konkrete Empfehlungen an die Politik blieb er allerdings schuldig.

Weitere zentrale Erkenntnis der Studie: Es gibt weit mehr digitale Außenseiter als gedacht – 27 Millionen. Die bisher übliche Unterteilung nach Menschen mit oder ohne Internetanschluss sei überholt, sagte Kammer. Silke Borgstedt vom Sinus-Institut ergänzte: „Wenn eine Person angibt, einen Internetanschluss zu haben, aber erst auf den Enkel warten zu müssen, damit der ihn anschaltet, gehört sie zu den digitalen Außenseitern.“