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Die Fahne hängt falsch

KRIEG & KINO Nächste Woche startet Kathryn Bigelows Irakfilm „Tödliches Kommando“. Eine Betrachtung über das US-amerikanische Kino und sein Verhältnis zum „War on Terrorism“

Diskutierte US-Filme

Tödliches Kommando von Kathryn Bigelow. Mit Jeremy Renner, Ralph Fiennes, startet am 13. 8.

Stop-Loss von Kimberly Peirce. Mit Ryan Phillippe, Joseph Gordon-Levitt, 2008

Grace is Gone von James C. Strouse. Mit John Cusack, Emily Churchill, 2007

Im Tal von Elah von Paul Haggis. Mit Tommy Lee Jones, Charlize Theron, 2007

Machtlos von Gavin Hood. Mit Reese Witherspoon, Omar Metwally, 2007

Redacted von Brian De Palma. Mit Happy Anderson, Lara Atalla, 2007

Von Löwen und Lämmern von Robert Redford, 2007

Home of the Brave von Irwin Winkler, 2006

Gunner Palace von Epperlein/Tucker, 2004

Occupation Dreamland von Olds/Scott, 2004

VON ANDREAS BUSCHE

Die Sonne brennt. Ein paar Soldaten lümmeln im Pool eines ausgebombten Luxusdomizils. Nebenan haben ein paar Kameraden eine Driving Range für Golfabschläge errichtet; eine Gruppe Afroamerikaner legt einen Freestyle-Rap hin. Die Stimmung in diesen Szenen des Dokumentarfilms „Gunner Palace“ ist ausgelassen wie in einem Ferienclub. Am nächsten Morgen müssen sie wieder in den Krieg.

Im Spielfilm „Im Tal von Elah“ steht ein Mann im Vorgarten seines Einfamilienhauses und hisst die US-amerikanische Flagge. Er hat seinen Sohn verloren, nicht im Krieg, sondern an den Krieg. Als die Kamera sich zurückzieht, sieht man, dass die Fahne falsch herum gehängt ist: ein internationales Notrufsignal. Die USA stecken in Schwierigkeiten.

In Kathryn Bigelows Spielfilm „Tödliches Kommando“ liegt ein Soldat am Boden, in eine Staubwolke gehüllt. Soeben ist hinter ihm eine Straßenbombe explodiert. Als er benommen die Augen aufschlägt, sieht er am Himmel einen gelben Drachen. Ein kleiner Junge lässt ihn vom Dach eines Nachbarhauses steigen, als wäre nichts geschehen. Ein ganz normaler Tag im Irak.

Bilder aus drei US-amerikanischen Filmen über den „War on Terror“. Die Bilder und Nachrichten, die aus Afghanistan und dem Irak ankommen, erscheinen inzwischen so alltäglich, dass sich ihr Reizwert abgenutzt hat. Routine hat sich eingeschliffen, eine gewisse Verdrossenheit macht sich bemerkbar.

Hollywood bekam das in den vergangenen Jahren schwer zu spüren. Filme wie „Machtlos“ von Gavin Hood, „Von Löwen und Lämmern“ von Robert Redford, „Im Tal von Elah“ von Paul Haggis oder „Home of the Brave“ von Irwin Winkler waren trotz Starbesetzung Kassenflops oder wurden von der Kritik verrissen. Und das, obwohl die US-Filmindustrie gerade erst begonnen hat, sich ernsthaft mit den Konsequenzen des militärischen Einsatzes im Nahen Osten auseinanderzusetzen.

Demutspose hinter biederem Bekenntniskino

Für eine Branche, die als Seismograf für die nationale Befindlichkeit fungiert, kommt dieser Wandel reichlich spät. Zumal man nicht vergessen hat, wie widerstandslos die Filmindustrie nach den Anschlägen vom 11. September auf Regierungskurs einschwenkte. Auch deshalb klingt heute in Kritiken Häme an, so Hollywood sich wieder einmal zum schlechten Gewissen der USA aufschwingt. Die Demutspose hinter biederem Bekenntniskino wie „Machtlos“ oder „Von Löwen und Lämmern“ ist nur zu leicht zu durchschauen – eine Form filmischer Selbstgeißelung für vergangene Versäumnisse.

Dennoch tut man sich mit der Analyse der Situation schwer. Der hohe Preis des militärischen Einsatzes hat die öffentliche Meinung weit stärker beeinflusst, als es das eigene politisch-moralische Empfinden je könnte. Die Fragen, die die Mehrzahl der in Hollywood produzierten Filme stellt, kreisen deshalb vornehmlich um die eigenen Versehrungen, die der Krieg verursacht hat. Die umgedrehte US-Flagge aus „Im Tal von Elah“ liefert hier ein markantes Bild. Der von Tommy Lee Jones gespielte Militärveteran Hank Deerfield muss erfahren, wie der Irakeinsatz seinen Sohn und dessen Kameraden in sadistische Killer verwandelt hat. Unmittelbare Kriegseindrücke liefert „Im Tal von Elah“ nur in Form von bis zur Unkenntlichkeit verwackelten Handyvideos. Der Krieg ist zu weit weg, als dass man sich von ihm zu Hause noch eine Vorstellung machen könnte. Das Bild der verkehrt gehängten Flagge schafft Distanz und verfügt über hohen Symbolwert. Die Frage der Vermittelbarkeit der Kriegserfahrung ist für jeden Film, der den US-amerikanischen Irakeinsatz thematisiert, eine Herausforderung.

„Ich hoffe, dass irgendwer in Washingtonweiß, was wir hier eigentlich machen“

Soldat in „Occupation Dreamland“

Denn in der Darstellung des Krieges ist das Repertoire ästhetischer Strategien begrenzt. Die fiktive Erzählung hat gegenüber der Dokumentation den vermeintlichen Vorteil der dramatischen Verdichtung und Überhöhung. Wie das Bild des Drachen aus Bigelows „Tödliches Kommando“, der diese Woche in den deutschen Kinos startet. Krieg aber ist genau das Gegenteil von Verdichtung; seine Monotonie widersetzt sich jeglicher Zuspitzung. Mit „Tödliches Kommando“ hat sich ein Hollywoodfilm erstmals dieses Darstellungsproblems angenommen. Nicht ganz zufällig wurde er von amerikanischen Kritikern zum bisher besten Spielfilm über den Irakkonflikt erklärt. Bigelow greift Kardinalstugenden des Dokumentarfilms auf. In „Tödliches Kommando“ operiert sie im Stile eines Embedded Reporter zwischen den Soldaten, die einer Sondereinsatztruppe zur Bombenentschärfung angehören.

Auf eine dramaturgische Erzählstruktur hat Bigelow verzichtet; ihr Film, eine lose Aneinanderreihung von Handlungsepisoden, zählt lakonisch die verbleibenden Einsatztage herunter. Am Ende beginnt die Zählerei von vorne. Die „unpolitische“ Haltung, die Bigelow vereinzelt vogehalten wurde, unterscheidet „Tödliches Kommando“ wohltuend von den bisherigen „War on Terror“-Filmen Hollywoods, die eher an öde Thesenpapiere oder verfilmte Zeitungsschlagzeilen erinnerten. In Robert Redfords „Von Löwen und Lämmern“ diskutierten ein Collegeprofessor (Redford selbst) und ein Senator (Tom Cruise) noch einmal den ganzen Argumentationskatalog von Eigenverantwortung, demokratischen Werten und Patriotismus durch. Auch in „Tödliches Kommando“ wird viel geredet, aber in den unterschiedlichen Sprecherpositionen bleiben individuelle Erfahrungen erkennbar.

Das Szenario erinnert an „Apocalypse Now“

Bigelows Drehbuchautor Mark Boal hat selbst einige Zeit als Embedded Reporter im Irak gearbeitet (von ihm stammt auch das Drehbuch zu „Im Tal von Elah“). Er ist also mit dem machistischen Ton in der Truppe und dem zermürbenden Soldatenalltag bestens vertraut. Boal hat die Paranoia, dass unter jeder Plastiktüte eine selbstgebastelte Bombe stecken, jeder freundlich lächelnde Iraker ein feindlicher Kämpfer sein könnte, selbst miterlebt.

„Tödliches Kommando“ erinnert formal an hervorragende Dokumentationen wie „Gunner Palace“ (2004) und „Occupation Dreamland“ (2005), die ebenfalls auf Tuchfühlung mit den US-Truppen gingen. Beide Filme gehörten zu einer Medienkampagne des Verteidigungsministeriums, die der Öffentlichkeit ein positives Bild der Frontsituation vermitteln sollten.

In Anbetracht der unzähligen Scharmützel in den Straßen von Bagdad, denen die Soldaten in „Gunner Palace“ ausgesetzt sind, muss es wie Hohn erscheinen, dass die schweren Kampfhandlungen im Irak einige Monate zuvor offiziell für beendet erklärt worden waren. Im Irak herrschte Anarchie, also taten die Soldaten das für sie Naheliegende: Sie besetzten den Palast von Saddams Sohn Udai Hussein und feierten dort zwischen ihren Einsätzen Partys. Das Szenario erinnert an „Apocalypse Now“, aber in den Gesprächen der Soldaten und Soldatinnen werden ihre Ambivalenz gegenüber der irakischen Bevölkerung, mit der sie täglich in Kontakt kommen, genauso spürbar wie die Zweifel am Sinn ihrer Mission. Deutlich bringt es ein Soldat in „Occupation Dreamland“ zum Ausdruck: „Ich hoffe, dass irgendwer in Washington, der schlauer ist als ich, weiß, was wir hier eigentlich machen.“

Krieg aber ist genau das Gegenteil von Verdichtung; seine Monotonie widersetzt sich jeglicher Zuspitzung

Filme wie „Im Tal von Elah“, „Home of the Brave“, „Grace is Gone“ und der sehr empfehlenswerte „Stop-Loss“ von Kimberley Peirce sind damit beschäftigt, kollektive Trauerarbeit an der Heimatfront zu verrichten. Skeptische Filme stellen in den USA längst keine minoritäre Gegenöffentlichkeit mehr dar; sie sind in einem gesamtgesellschaftlichen Diskurs aufgegangen.

Doch über die Selbsttherapierung hinaus trägt das seit Vietnam so beliebte Kriegsheimkehrerthema wenig zur Auseinandersetzung mit dem Irak bei. „Gunner Palace“ und „Occupation Dreamland“ sowie der fiktionale „Tödliches Kommando“ legen nahe, dass erst jenseits von politischen Gesinnungen ein differenzierter Blick auf die Situation im Irak möglich sei. (Brian De Palmas wutschnaubender Spielfilm „Redacted“ liefert den Gegenentwurf zu diesem dokumentarischen Ansatz; das macht ihn zu einer interessanten Fußnote.) Von außen ist das System des Krieges leicht zu kritisieren. Seine Fehlleistungen aber werden auf unterer Kommandoebene evident: im Verhältnis der Soldaten zur Zivilbevölkerung, im militärischen Karrierismus, im rücksichtslosen Verschleiß von Human Ressources, in der sozialen Entfremdung des Einzelnen.

Hollywood hat auf diesen Umstand bislang vor allem mit Resignation reagiert. In „Home of the Brave“, „Tödliches Kommando“ und „Stop-Loss“ kehren die Soldaten nach ihrer ersten Tour in den Irak zurück, weil sie sich für das zivile Leben nicht mehr tauglich fühlen. Der Begriff Stop-Loss bezieht sich dabei auf das Kleingedruckte im Rekrutierungsvertrag, wonach der Oberbefehlshaber der US-Truppen, der Präsident, einen Soldaten jederzeit in die Armee zurückberufen kann, so er die Notwendigkeit sieht.

Die moralische Größe eines Landes zeigt sich letztlich darin, wie es diejenigen behandelt, die für eben jenes ihr Leben riskieren.

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