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Unser Europa

Was Europa ausmacht

Zeus ist schuld. Er hat Europa entführt – das Mädchen versteht sich, nicht das Land. Und nach diesem Mädchen wurde der Kontinent benannt. Jetzt gibt es ein Europa, einen bunten Haufen verschiedener Nationen mit all ihren Vorurteilen: heißblütige Spanierinnen und kühle Engländer. Eine Vielfalt eben.

Und das unterscheidet Europa von anderen Kontinenten, sagen die einen. Arrogant, zu glauben, dass sich der Kontinent dadurch auszeichnet, sagen die anderen. Denn das würde bedeuten, dass andere Kontinente nicht vielfältig sind. Damit bleibt die Frage: Was ist Europa und was sind EuropäerInnen?

Hellhäutig sind sie, steht in einem Nachschlagewerk aus dem Jahr 1968, helle Haut, helle Augen, helle Haare. Aber diese Definition über das Äußere würde heute kaum jemand mehr ernsthaft vertreten. Daher sollten wir sagen: Ich bin Europäerin, ich bin Europäer, denn dann handele ich als EuropäerIn. So entsteht ein Europa. Und so entsteht eine Vorstellung von einem Europa, zu dem jede Nation ihren Teil beiträgt. Ob Mann, ob Frau oder Kind – sie alle sind Europa. Durch ihr Handeln entsteht unser Europa. CAROLA HARATHER

Wie ich die EU mögen kann

Gerne hätte ich die Europäische Union lieb. Wäre Freitags nach 14:30 Uhr das EU-Informationsbüro in Berlin besetzt, würde mir gewiss jemand versichern, dass mich die EU auch mag. Aber überzeugend fände ich das nicht. Wie kann ich die EU also mögen?

Würde ich einen großen Agrarbetrieb leiten, wäre das ziemlich einfach: Wenn niemand meine Kartoffeln will, könnte mir die EU mit ein paar Subventionen unter die Arme greifen. Die Produkte wären billiger, die Konkurrenz ginge kaputt, fertig. Leider bin ich ein bloß ein junger Akademiker. Für meine Erzeugnisse gibt es ebenso wenig Nachfrage, doch leider auch keine Kohle. Und überhaupt will ich gar keine Konkurrenz ausschalten.

Aber es muss nicht nur Geld sein. Freiheit und Gerechtigkeit finde ich auch gut. Daher schade, dass ich kein Jürgen Habermas bin. Dann wäre ich Professor und wüsste, wie die EU für Freiheit und Gerechtigkeit sorgen kann. Nur will ich nicht erst meinen Doktor machen müssen, bevor ich das verstehe.

Jetzt hat die EU gezeigt, wie ich sie mögen könnte: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat geurteilt, dass Italien Flüchtlinge entschädigen muss, die es illegal nach Libyen verschifft hat. Zwei von ihnen werden davon aber nichts mehr haben. Noch vor dem Urteil ertranken sie bei einem neuem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Wenn das nächste Mal niemand abgeschoben wird und keiner ertrinkt, dann finde ich die EU zumindest nicht schlecht. GERIT-JAN STECKER

Wo wir vereint sind

Klar gibt es gemeinsame europäische Erfahrungen: Wochenendtrips nach Prag und Madrid, studieren auf Bachelor und Master und die Champions League natürlich. Viele Lebenssituationen haben aber herzlich wenig miteinander zu tun. Die zur Schau gestellte Club-Mate-Identität der linken Großstadtszene Wiens, das Landleben im Inneren einer griechischen Insel und 60-Stunden-Wochen an der Londoner Börse unter einen Hut bringen zu wollen wird hart.

Aufklärung und der Anspruch der Gleichheit aller Menschen taugen auch nicht zum einenden Element. Sie sind zu allgemein, beanspruchen Gültigkeit über Europa hinaus und erlangen sie nicht mal im Inneren. Die Menschen in Europa fühlen sich auch nicht europäisch, sie fühlen sich gläubig, als Frankfurter, als Lokführerin oder konservativ.

Einzig wenn es um die Anderen geht, darum, zu sagen: „Es können ja nicht alle kommen“, dann kommt Europa gelegen. Dann geht auf einmal das christliche Abendland unter, Europa wird plötzlich von Ausländern überschwemmt, und „die passen einfach nicht hierher“. Das privilegierte Europa bedient sich dann der heraufbeschworenen gemeinsamen Identität, um sich nach außen abzugrenzen. Basis jeder kollektiven Identität ist der Gedanke: „Ihr seid anders.“ Das aber macht das „Wir“ nicht gleicher.

NIKOLAI SCHREITER

Wo Europa uns trifft

EU Parlament, Kommission und Co. Das scheinen weit entfernte Institutionen, die lediglich Regierungen und Wirtschaft betreffen. Weit gefehlt. Die Damen und Herren aus Brüssel, Straßburg und Den Haag mischen fleißig im Alltag der gemeinen EU-BürgerIn mit.

Ein Trend aus Irland schwappte langsam in die restliche EU: Das absolute Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten. Der Gourmet lacht, die Raucherin weint. Den Feierabend begleitet von einer Zigarette am Tresen verdampfen lassen. Das war einmal.

Für alle BergfreundInnen hatten die BürokratInnen ein besonderes Schmankerl: ein EU-weites Seilbahngesetz. Auch eins für jedes einzelne deutsche Bundesland. Schleswig-Holstein hat zwar immer noch keine Berge, ist aber bestens für die Zukunft gerüstet.

Für Obst und Gemüse ließ man sich insgesamt 36 Normen einfallen, Größe, Form und Aussehen betreffend. Ohne die obligate Gesichtskontrolle kommt keine Banane in den EU-Supermarkt.

Selbst über die Überreste jener Produkte wurde beraten. Das Ergebnis der Abstimmung: EU-genormte Kloschüsseln. Da soll noch einer denken, das Örtchen wäre still. Wir haben die EU am Arsch. MAX ZANDER

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