: Katrin Bettina Müller schaut sich in den Galerien von Berlin um
Die Welt des Spektakels ist grausam. Gerade das macht sie attraktiv für die, die nach Überschreitung hungern. Dazu gehört ganz sicher die Malerin Alex Tennigkeit, die in der Galerie Jette Rudolph in einem Selbstporträt ihre „Gier nach Transgression“ schon im Bildtitel bekennt. Sie malt sich mit beiden Händen im rohen Fleisch wühlend, das sie sich in den Mund stopft. Und so gierig, spekuliert man zwischen ihren Porträts von Gruftis, Zombies, von zerfressenen und zerschnittenen Gesichtern, gibt sich die Malerin sicher auch dem Genuss von Horrorfilmen hin. Das ganze Bilderkabinett wirkt wie eine ins Todessüchtige verliebte Fantasie mit einem Stich ins Pubertäre – und auffallend brav gemalt. Das ganz große Drama – domestiziert für den Hausgebrauch.
Um Drama geht es auch bei der schwedischen Künstlerin Ann-Sofi Sidén, die bei Barbara Thumm die Videoinstallation „Curtain Callers“ zeigt, aufgenommen im Royal Dramatic Theatre in Stockholm. Da hört man, was man sieht, sieht man, was man hört, und hört und sieht noch viel mehr. Über fünf Bildschirme gleiten die Bilder seitwärts, simulieren einen langen Schwenk, der über Schnitte und Szenenwechsel hinwegtäuscht, begleitet von einer Musik, die Jonathan Bepler sowohl aus den lokalen Geräuschen wie aus den Stimmen eines 600 Mann starken Chors komponiert hat. Alles dreht sich um die Vorbereitungen zu einer Aufführung: Kostüme werden gebügelt, Perücken geknüpft, Schauspieler kommen und verwandeln sich, ein prächtiges Schauspiel entfaltet sich hinter den Kulissen und schließlich auch im Zuschauerraum. Das gleicht einer Reise durch ein Theatermuseum. Zugleich entsteht aus den Vorbereitungen eine ganz eigene Komposition, mit Spannungskurven und Pausen, mit Verdichtung und Auflösung. Ein sehr analytisches Stück über Kunst und ihre Entstehung.
■ Alex Tennigkeit: „A Hint of Lightness“, Galerie Jette Rudolph, Strausberger Platz 4, 10243 Berlin, Di.–Sa. 12–18 Uhr, bis 16. April
■ Ann-Sofi Sidén:„Curtain Callers“, Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68, 10969 Berlin, Di.–Sa. 11–18 Uhr, bis 14. April
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