: Atmen, twittern, pressen
INTERNET Die Ehefrau des Twitter-Mitbegründers berichtet per Kurznachrichtendienst live von der Entbindung. Das ist wohl erst der Anfang einer radikalen Offenheit im Netz
VON BEN SCHWAN
„Liebes Twitter, meine Fruchtblase ist gerade geplatzt. Es war nicht so wie bei Charlotte in ‚Sex and the City‘. Nun time ich meine Wehen mit einer iPhone-Anwendung.“ Sara Morishige Williams, die das am Montagabend kalifornischer Ortszeit schrieb, geht es inzwischen den Umständen entsprechend gut. Ihre Handy-Software namens „Contraction Tracker“ fand allerdings nicht allzu lange Anwendung. Denn eine Stunde später twitterte sie: „Die Wehen zu messen, machte Spaß – bis sie anfingen, weh zu tun.“
Einige Stunden später kam Sara Morishige Williams ins Krankenhaus und vermeldete, dass sie dort das vorletzte Zimmer ergattert hatte. Kurz danach ließ sie sich ihre Schmerzen durch eine Epiduralanästhesie lindern und schrieb per Kurznachrichtendienst all jene, die sie bei Twitter als Follower abonniert haben: „Epiduralanästhesie – immer her damit“. Dann unterbrach dem Getwitter zufolge nur noch ein Herzschlagmonitor die Ruhe im Kreißsaal, bis es schließlich mit der lauten Geburt losging. Sechs Stunden später dann die Erfolgsmeldung: „Ev wechselt gerade die ersten Windeln.“
Es dürfte die erste Entbindung gewesen sein, die live per 140-Zeichen-Botschaft ins Internet übertragen wurde. Dass Sara Morishige Williams das per Twitter tat, hat wohl einen Hauptgrund: Sie ist die Frau des Firmengründers Evan „Ev“ Williams, entsprechend logisch und werbewirksam war es offensichtlich, dass sie auch die Geburt über den Kurznachrichtendienst per Handy übertrug. Der Mann des Hauses gab sich dagegen mit zwei Tweets erstaunlich wortkarg: Er beschwerte sich nur kurz über die scheinbare Langsamkeit der „Operation Baby Launch“ und gab dann vier Stunden später bekannt, dass es sich „um einen perfekten kleinen Jungen“ der Gewichtsklasse 3,62 kg handele, Größe 53 Zentimeter. „Wir grinsen alle.“ Mehr als 16.000 Follower konnten Sara Morishige Williams’ Twitter-Geburt verfolgen, ihr Mann Ev hat sogar über 1,2 Millionen Twitter-Freunde.
Die werdende Mutter war zwar recht auskunftsfreudig, Datenschutzbestimmungen wurden bei der Aktion aber nicht gebrochen. Sara Morishige Williams gab weder den Namen des Krankenhauses noch den Ort der Entbindung bekannt. Nicht einmal den Namen des kleinen Twitterers erfuhr die Welt bislang. Trotzdem schrieb das Silicon Valley-Klatschblog „Valleywag“ nahezu live, aber ohne jedes Bild übrigens, dass nun „das Twitter-Kind auf der Welt“ sei.
In der Tat hätte die Entbindung von Morishige Williams’ Nachwuchs noch wesentlich genauer übertragen werden können. Per Twitpic.com hätte man Bilder hochladen und per Twiddeo einen Film einstellen können. Audioboo wäre zum Online-Stellen des ersten Schreis geeignet gewesen. Doch all diese Momente blieben bei dem Twitter-Gründer und seiner Frau privat, sie wissen offensichtlich, was sie tun müssen, um ihre Privatsphäre trotz Web-2.0-Mitteilungsdrang zu schützen.
Ein Dienst, alle Daten
Andere Twitter-User sind da weniger geschickt, wie ein Blog kürzlich stichprobenartig herausfand: Da gaben diverse Nutzer frei für jeden zugänglich ihren Hass über ihre Arbeitsstelle bekannt oder ließen sich direkt über ihren Chef aus. Der Trend zur potenziell existenzgefährdenden Offenheit im sozialen Netz dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen.
Große Social Networks im Internet beginnen gerade damit, das Durchsuchen von Inhalten zu erleichtern und große Teile des bislang nur für angemeldete Nutzer sichtbaren Netzwerkes auch gegenüber Google und Co. zu öffnen. Dagegen helfen nur entsprechende Privatsphäreneinstellungen.
Facebook übernahm in dieser Woche den sogenannten Life-Streaming-Dienst Friendfeed. Dieser trägt als „Social Aggregator“ alle Daten im Netz zusammen, die eine Person einstellt, egal ob es sich um Bilder, Videos oder Kurznachrichten handelt, egal auf welcher Plattform sie sich auch auffinden lassen. Die Welt, in die Sara Morishige Williams’ Kind gerade geboren wurde, dürfte von radikaler Offenheit geprägt sein. Da ist die getwitterte Geburt nur der Anfang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen