: Der Star ist die Küche
REDAKTIONSBESUCH Seit 40 Jahren erklärt „Essen & Trinken“ dem Toskanadeutschen, wie auch er gut kochen kann. Ihr neuer Chef hat das Heft leichter verdaulich gemacht
AUS HAMBURG DAVID DENK
In die Kantine geht Clemens von Luck höchstens noch „aus sozialen Gründen“, wenn ihn dort jemand treffen will, jemand, der keine Ahnung hat – zumindest nicht vom besten Essen bei Gruner + Jahr. Als stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Essen & Trinken ist von Luck seit gut einem Jahr auch einer der Herren über die wohl geschmackvollste Einrichtung des Verlagshauses am Baumwall: die Essen & Trinken-Küche. Und irgendwas steht dort zum Probieren immer auf dem Tresen.
Dass es auch schmeckt, ist die Aufgabe von Achim Ellmer und weiteren acht festangestellten Köchen mit Redakteursverträgen, die alle Rezepte, die in Essen & Trinken und dem Ableger Essen & Trinken für jeden Tag sowie Living at Home erscheinen, entwickeln und zweimal probekochen. Damit es auch zu Hause gelingt, bereitet dann einer der Küchenpraktikanten, zumeist Ökotrophologiestudenten, das Gericht ein letztes Mal zu, wie gerade Britta Fahnemann die Lachs-Garnelen-Bällchen mit scharfem Möhrensalat für den „Sex and the City“-Videoabend der Living at Home-Leserinnen. Das ist die „Essen & Trinken-Garantie“: Jedes Rezept 3-mal gekocht.“ Die Botschaft an den Hobbykoch: Fürchte dich nicht, das wird schon.
In diesem Jahr wird Essen & Trinken 40 und verlost unter anderem jeden Monat einen Mitarbeiter für einen „kulinarisch außergewöhnlichen Tag“, darunter auch die Köche, die unter dem neuen Chefredakteur Stephan Schäfer zu kleinen Stars avanciert sind. War die Versuchsküche früher „eher ein großes Geheimnis“ (Ellmer), taucht sie nun regelmäßig im Heft auf und damit auch die Menschen, die in ihr arbeiten. Auch die Dienstreisen sind neu. Auf so einen Genusstrip, der später mit Produkttipps, Restaurantempfehlungen und natürlich Rezepten im Heft nachvollzogen wird, bereitet sich gerade Koch Marcel Stut vor. Es geht nach Antwerpen und Stut hat sich in den Kopf gesetzt, von dort ein Rezept für Garnelenkroketten mitzubringen. Eines, das funktioniert. „Die Angaben hier stimmen hinten und vorne nicht“, sagt Stut, während er den Teig anrührt. „Rezepte, die man aus dem Internet zieht, funktionieren in der Regel nicht.“
Essen & Trinken lebt in friedlicher Koexistenz mit Onlineangeboten wie chefkoch.de – mittlerweile auch in G+J-Besitz –, aber auch in der Gewissheit, was Besseres zu sein. Von 80.000 abgedruckten Rezepten ist die Rede – „kein einziges doppelt“, beteuert Vizechef von Luck. Man will mehr liefern als Kochanleitungen. „Unsere Leser müssen sich darauf verlassen können, dass wir alle kulinarisch relevanten Entwicklungen in Deutschland und weltweit abbilden“, sagt er. Distinktion ist der 21-köpfigen Redaktion so wichtig wie ihren Lesern. Ein Essen & Trinken-Abo gehört zur bürgerlichen Grundausstattung wie volle Billy-Bücherregale und der Lieblingswinzer in Südfrankreich.
Nein, leicht zufriedenzustellen ist dieses Publikum nicht. Umso mehr freut sich Küchenchef Ellmer über Leser, die ihm erzählen, „Essen & Trinken ist aber viel einfacher geworden“, und, wenn er schon auf eine Standpauke gefasst ist, nachschieben, „aber ich koche viel mehr daraus.“ Das war das Ziel von Chefredakteur Stephan Schäfer beim Amtsantritt im Dezember 2010: das Heft nahbarer zu machen. Zwei Drittel der Rezepte seien für jeden Tag geeignet, ein Drittel sei ambitionierter, schätzt Ellmer, „bevor Herr Schäfer kam, war es umgekehrt.“
Seit 16 Jahren kocht Ellmer für Essen & Trinken und hat fünf Chefredakteure überlebt. Der aktuelle, Stephan Schäfer, ist der „Mr Cocooning“ von Gruner + Jahr, Spezialist fürs Wohlfühlen in den eigenen vier Wänden. Inzwischen verantwortet er vier Titel – Schöner Wohnen, Essen & Trinken, Essen & Trinken für jeden Tag und Couch, ab Mai kommt mit Häuser noch ein fünfter dazu. Mit Erfolg: Im vierten Quartal 2011 erzielte Essen & Trinken ein Plus von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, verkaufte knapp 191.000 Exemplare.
Die publizistische Entwicklung von Essen & Trinken schmeckt aber nicht jedem. Gastrokritiker Jürgen Dollase (FAZ) vermisst, wie auch bei der Konkurrenz vom Feinschmecker, „das Bemühen, mehr an die Basis zu gehen, die Architektur des Essens zu vermitteln und so die deutsche Esskultur weiterzuentwickeln, anstatt ständig Minitrends auszurufen“. Dieses Perpetuieren des Bekannten ist ihm ein Graus. Dollases Feindbild sind die „Redundanzesser“. Der „explosionsartigen Entwicklung der Spitzenküche in den letzten fünf Jahren“ hinke der Hausgebrauch mit seinem Aromadoping hoffnungslos hinterher.
In der Essen & Trinken-Küche kümmert sich Achim Ellmer heute um die Grillsalate für die Juniausgabe. Drei Monate Vorlauf hat das Heft – was dazu führt, dass beim Probekochen nicht die später im Heft propagierten saisonalen und regionalen Produkte verwendet werden können. Den Fotos sieht man das nicht an, „aber man schmeckt den Unterschied“, sagt Ellmer.
Die Aufnahmen entstehen in der Regel in externen Fotostudios. Unter den freiberuflichen Foodstylisten, die das Essen so in Szene setzen, „dass du am liebsten mit der Gabel ins Heft stechen möchtest“ (von Luck), sind laut Ellmer „auch einige unserer ehemaligen Praktikanten“. Ein Weg, den auch Britta Fahnemann nach mehr als 20 Jahren in Profiküchen einschlagen möchte: endlich normale Arbeitszeiten bei auskömmlicher Bezahlung. Das schätzen auch die Essen & Trinken-Köche an ihrem Job.
„Marcel, brauchst du noch was von Rewe?“, fragt Kollegin Marion. Marcel Stut verneint und wendet sich wieder diesen verflixten Garnelendingern zu. Die meisten Lebensmittel bezieht die Essen & Trinken-Küche von Vertragshändlern, nicht sklavisch Bio, „ein konventioneller Apfel aus dem Alten Land ist mir lieber als einer mit Biosiegel aus Neuseeland“ (Ellmer). Was fehlt, kommt eben aus dem Supermarkt um die Ecke. „Unser Anspruch ist, dass man alle Zutaten auch in einer mittelgroßen Stadt wie Kassel bekommen muss“, sagt Vizechef von Luck.
Ansprechpartnerin für die Leser bei Essen & Trinken ist Andrea Meinköhn. Auf einer Doppelseite beantwortet sie in jedem Heft Fragen zur Herstellung von Trüffelhonig oder zum richtigen Korkenzieher für alte Rotweine. 80 Prozent der etwa 100 in der Woche an sie herangetragenen Probleme könne sie lösen, schätzt Meinköhn, „passen musste ich etwa beim Rezept für das in Chile und Peru beliebte Meerschweinchenragout“. Oft genug leistet die gelernte Grafikerin „ambulante Hilfe“, wenn etwa die Zabaione nicht gelingt. „Der Leserservice ist ungemein wichtig für uns“, sagt Vizechef von Luck, „auch als Dankeschön für die Treue.“ Und trotzdem wurde mit Meinköhns Dienstantritt die Stelle halbiert.
Auch von Luck, „kein Sternekoch, ein Gernekoch“ wie seine Leser, hat schon „unfasslich viel“ von den Essen & Trinken-Köchen gelernt, etwa das Geheimnis guter Bratkartoffeln. „Der größte Trick für mich war es, Vertrauen zu haben“, sagt er. „Vertrauen darauf, dass die Kartoffeln nicht anbrennen, auch wenn ich sie nicht andauernd wende.“ Auch dafür gibt es im neuen Essen & Trinken-Heft eine Rubrik, die „Erkenntnisse aus der Küche“ auf der letzten Seite. Sie runden das Essen & Trinken-Gefühl ab: Nobody cooks perfect – noch nicht mal die Profis aus Hamburg.
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