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WIE PRIVATISIERUNG DIE POLITISCHE KLASSE KORRUMPIERTMars an Erde

Knapp überm Boulevard

ISOLDE CHARIM

Wulff war da ja vergleichsweise noch harmlos. Wenn man sich etwa ansieht, als wie korrupt sich zurzeit fast die gesamte politische Klasse in anderen Ländern erweist. Zum Beispiel in der Slowakei. Oder in Österreich. Das erzeugt nicht mehr Politikverdrossenheit, das erzeugt schon Politikekel. Vielleicht ist es naiv zu glauben, das sei jemals anders gewesen. Obwohl Colin Crouchs Postdemokratiekonzept das ja nahelegt. Ist die Postdemokratie als Herrschaft des Lobbyismus für ihn doch eine Verfallsform, die sich von der Folie einer einst funktionierenden Demokratie abhebt. Vielleicht ist es also gar nicht naiv und es ist nicht nur der Grad an Korruption, der unvorstellbare Ausmaße angenommen hat, sondern es ist auch etwas qualitativ Anderes.

In der Slowakei haben die „Gorilla-Akte“ genannten Abhörprotokolle belegt, wie Politiker Staatseigentum gegen Provisionen „verkauft“ haben. Nahezu alle Parteien waren involviert. Die Bestechungssummen waren astronomisch und der Einfluss der involvierten Investmentgruppe auf die Politik enorm. Das Szenario in Österreich ist ein ganz ähnliches. Auch hier gibt es ein Netzwerk an Lobbyisten und Politikern, in dessen Mitte der ehemalige Finanzminister sitzt, die alles verscherbelt haben, was der Staat hergab.

Der gemeinsame Nenner, der Knackpunkt, der ganze Politikerklassen bis ins Mark korrumpiert hat, heißt Privatisierung – die Überführung von Staatseigentum, von öffentlichen Betrieben in privates Eigentum. Und tatsächlich ist dies eine Zäsur, eine qualitative Veränderung. Es hat eine Verkehrung stattgefunden: Gab es in der Nachkriegszeit vor allem korrupte Parteienfinanzierungen, so sind es heute vor allem Politiker, die sich als Einzelne mittels der Parteien bereichern. Sie haben nicht nur das staatliche Eigentum, sie haben auch die Korruption privatisiert. Und wenn auch in der präneoliberalen Ära nicht alles rosig war, so muss man doch feststellen: Es gibt politische Strukturen, die der Maßlosigkeit Einhalt gebieten. Und es gibt politische Strukturen, die die Maßlosigkeit befördern.

Der Neoliberalismus hat nicht nur die Märkte, er hat auch die Individuen dereguliert. Heute gibt es eine Phalanx aus ökonomischen und politischen Akteuren, die Thatchers Wort – „Die Gesellschaft gibt es nicht“ – täglich mit allen Kräften zu bestätigen versuchen. Und das sind nicht nur Banker, bei denen schon das normale Geschäft von Korruption nicht zu unterscheiden ist. Es sind eben auch Politiker, bei denen Korruption nicht offizieller Teil ihres Berufsbildes ist, Politiker, die doch an der Gestaltung ebenjener Gesellschaft arbeiten sollten, deren Grundlagen sie unterminieren. Die Dreistigkeit ebenso wie die Summen, um die es dabei geht, lassen nicht mehr von einer Vermögensschere sprechen. Banker, Korruptionisten, Spitzenmanager scheinen mittlerweile auf einem anderen Planeten zu leben.

Der Soziologe Sighard Neckel hat kürzlich in einem taz-Interview gemeint: „Wir brauchen eine ethische Rückbindung ökonomischen Handelns.“ Nicht die Politik, die Moral soll diese Marsmenschen zurückholen. In Österreich versucht es nun eine der involvierten Parteien mit einem Leitfaden, der auflistet, was Politiker dürfen und was nicht. Nicht Gesetze sollen sie eingrenzen, sondern Moral. Allerorten Moral als letzte Hoffnung. Mars an Erde: Wir können sie nicht hören.

■ Isolde Charim ist freie Publizistin und lebt in Wien

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