zwischen den rillen: Knacken im Nacken vom Nicken
Wenn Safi einen Song komponiert, orientiert sich die 47-jährige Künstlerin nicht an abgetretenen Referenzen oder verkopften Konzepten. Sondern vertraut einzig dem Gesang. So erklärt es die in Berlin lebende Musikerin im Gespräch mit der taz. Wie das Lied wird, entscheidet ihre vier Oktaven umfassende Stimme. Manchmal will sie, dass die Strophen tief gecroont werden. Dann verlangt sie höchsten Falsettgesang. Und immer, immer wieder Schreien. Kein Wunder, dass Safi ihrem Organ so sehr vertraut – verfügt sie doch über eine der charakteristischsten Stimmen im deutschsprachigen Pop. Ein heiseres Kreischen, Jaulen und Ächzen, das Zwerchfell und Knochenmark in Schwingung versetzt. Und auf ihrem neuen, nunmehr dritten Album „Groteske“ so befreit klingt wie noch nie zuvor.
Einer der Gründe dafür findet sich im Aufnahmeprozess. Der Berliner Produzent Moses Schneider (Tocotronic, Die Heiterkeit, Ja, Panik), der bereits ihr Debütalbum begleitete, nahm Safi und ihre Band live im Studio auf – inklusive Gesang. So blieb viel Raum für Atmosphäre, im Zusammenspiel entstand eine Unmittelbarkeit, die sich in keiner abgesicherten Gesangskabine reproduzieren lässt. Die am Konservatorium ausgebildete Safi (Sandra Fink) arbeitet in der Tradition von Exzentrikerinnen wie US-Sirene Diamanda Galás. „Ich bin der Schatten auf deinem Gemüt / Das Wort, das sich durch deine Zähne presst“, singt sie in „Ewig diese Welt“.
Die Töne überschlagen sich, während Safi das t in „presst“ in die Länge zieht. In „Gloria“ wiederum wechselt sie binnen Sekunden zwischen aggressivem Sprechgesang, triumphalen Rockröhren und Axl-Rose-esken Vibrato-Gekreische. „Hast du etwa Angst, über dich hinauszugehen“, lautet die diesen virtuosen Ansatz zusammenfassende Zeile in „Adrenalin“ – Safi singt, schreit, flüstert gleichzeitig.
Mit maximaler Expressivität beschreibt die gebürtige Leipzigerin eine Welt in absurder Schieflage. „Groteske“ ist ein Song über Schulter an Schulter stehende faschistische Horden und andere „gespaltene Gestalten mit Knacken im Nacken vom Nicken“. Die Musik spiegelt diese schiefen Szenen sehr treffend. Wie schon beim Vorgänger „Janus“ (2015) bauen Safi und ihre Band (Noise-)Rock mit den Werkzeugen der Avantgarde. Mit präparierten Gitarren und zweckentfremdeten Fundstücken. Drummer Jörg Wähner (bekannt als Mitglied des Technoprojekts Apparat) verzichtet auf herkömmliche Becken und trommelt stattdessen auf Blechplatten, die er auf einem Schrottplatz gefunden hat. Bassist und Gitarrist Matthias Becker sorgt für kratzige Low-Endsounds. Safi und Becker bauen mit ihren Gitarren bisweilen harmonische Walls of Sounds und dann wieder glitchenden Noise – und das mitunter im gleichen Song wie im Titeltrack.
Kein Wunder, dass diese Band lange Pausen zwischen ihren Alben lässt. Die Musik von Safi braucht Zeit, um zu wachsen. Mehr noch als auf den vorigen Werken schwenkt der Harmonie und Dissonanz balancierende Avantrockkrach auf „Groteske“ diesmal in Richtung Schönheit aus. „Was es ist“ beginnt in sonorer Hildegard-Knef-Tonlage und verwandelt sich in einen umarmenden, denglischen Refrain. „Ist das was es ist / I pretend it is“, singt sie, hier begleitet vom Gastsänger Dennis Lyxzén (von der schwedischen Punkband Refused). Das könnte kitschig sein, genau wie ein paar andere Zeilen („Adrenalin ist die beste Medizin“). Dass es dann doch nicht kitschig gerät, ist der größte Beweis von Safis versatiler Stimme. Sie kann eine schlichte Zeile wie „Ich will ein Leben, das mir nicht ständig kaputtgeht“ in nackten Existentialismus verwandeln.
Safis Musik ist intensiv und herausfordernd, klar. Aber im Vergleich zur gern verkopften und allzu konzeptuellen Avantgarde bleibt ihr avantgaragen Rock immer zugänglich.
Marius Magaard
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