piwik no script img

Angeblich zu „woke“ ComputerspieleGame­r:in­nen gegen Gendergaga

Eine Liste bewertet über 1.500 Spiele, ob sie „zu woke“ sind – und zeigt vor allem eins: Der Kampf gegen Diversität in der Gamingwelt ist absurd.

Auch auf der Tabu-Liste: Das Spiel „Tell me why“, weil einer der Charaktere trans ist Foto: Microsoft/Dontnod

S ie ist lang, inkonsistent und das vielleicht peinlichste digitale Schriftstück des Jahres. Seit einigen Monaten kursiert im Internet eine (wachsende) Liste, die Videospiele nach ganz besonderen Kriterien rezensiert: die „Woke Content Detector’s Curated List of Games“. Gelistet sind in dem Google-Sheet mehr als 1.500 Spiele, und knapp die Hälfte ist mit „not recommended“ bewertet, weil sie angeblich zu woke sind.

„Woke“ – der Begriff kam einst von links und bedeutete zunächst, dass man wach ist für Diskriminierungsformen wie Rassismus. Mittlerweile ist das Wort zum politischen Kampfbegriff der Rechten mutiert und wird benutzt, um Menschen, die auf Diskriminierung hinweisen, als abgehoben oder pingelig zu diffamieren.

Das Ziel der Liste sei, zu zeigen, wie stark Spiele politische Botschaften transportieren, schreibt Furin, der anonyme Urheber der Liste, in seiner Gruppe auf der Gaming-Plattform Steam. Laut der Liste sollte man – Stand Sonntag – 54 Prozent der Spiele auf der Liste nicht zocken, weitere 21 Prozent mit Vorsicht. Nur 26 Prozent werden empfohlen.

In „Dragon Age: The Veilguard“ kann man Charaktere mit Weißfleckenkrankheit erstellen – nicht empfohlen! Und bei „Until Dawn“ spielt ein Pärchen, bestehend aus einem Schwarzen Mann und einer asiatisch gelesenen Frau, eine Hauptrolle – nicht empfohlen!

Das allerwichtigste Cancel-Thema: LGBTQ+-Content. Die Abkürzung taucht in der Tabelle 1.004-mal auf. Damit ein Videospiel unten durch ist, reicht es, wenn bei der Charaktererstellung statt „Mann“ und „Frau“ verschiedene Körperformen auswählbar sind. Das macht die Spiele für die Ur­he­be­r:in­nen zu gefährlichen Propagandawerkzeugen der woken Bewegung.

Irritierte Nachfragen

Laut der Liste ist auch woke, was für Klimaaktivismus und ein Abtreibungsrecht sowie gegen Kapitalismus und Meinungsfreiheit ist. Konsistent oder nachvollziehbar ist daran nichts, nicht einmal für die eigene Steam-Community, deren knapp 2.000 Mitglieder fast täglich irritierte Nachfragen stellen.

Die armen Game­r:in­nen haben es nicht leicht. Sie wollen einfach nur zocken und müssen dann dauernd den Anblick von Regenbogenflaggen ertragen! Die Liste ist ein verzweifelter Versuch, Gaming zu entpolitisieren. Der wird aber zwangsläufig scheitern, denn sobald Geschichten erzählt werden, wird es politisch.

Die Liste ist ein peinliches Aufbäumen gegen eine sich schnell verändernde Gaming-Industrie. Damit tun sich rechte Game­r:in­nen keinen Gefallen. In ein paar Jahren können sie gar nichts mehr zocken, weil sie die Veränderungen, die sich in Videospielen spiegeln werden, nicht ertragen.

Entgegen der Annahmen von Furin und Co. ist der Anteil der queeren Charaktere in Videospielen unterdurchschnittlich. Etwa jede sechste Zo­cke­r:in ist queer, aber nur 1 von 50 Spielen enthält queeren Content. Auch andere marginalisierte Gruppen sind unterrepräsentiert. Die politischen Kämpfe von Feminist:innen, PoCs und Queers müssen in Videospielen sichtbarer werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Alexandra Hilpert
Redakteurin
Hat in Leipzig Journalismus studiert und ist seit 2022 fest bei der taz, aktuell im Online-Ressort als CvD und Nachrichtenchefin. Schreibt am liebsten über Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, unter anderem in ihrer Kolumne Zockerzecke.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Wurde diese Liste nicht schon mal erwähnt und als Schweinchen von irgendeinem funk-Format oder Böhmermann durchs Dorf getrieben?



    Als erstes ist eine Steamgruppe von 2000 Leuten keineswegs eine kritische Masse, da gibt es wesentlich größere Gruppen. Und bei der Masse an Gamern, die auf der Plattform unterwegs sind, gibt es halt auch die eine oder andere seltsame Blüte.



    Zweitens gibt es schon valide Kritik an "Wokeness" in Spielen (und auch in Filmen), und zwar wenn Diversität (denn darum geht es wirklich) in Kontext und Story unsinnig aufgezwungen wirken und damit eher stören oder das Spielgefühl gar zerstören.



    Ich erinnere beispielsweise an die unsägliche Diskussion (aus den Anfangszeiten dieses Trends) um "Kingdom come Deliverance", ob dieses Spiel rassistisch sei, weil da keine PoC vorkamen (wohlgemerkt im mittelalterlichen Böhmen).