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Meinungen zum Kinderkriegen59% der Männer in Deutschland sollten lieber schweigen

Nicole Opitz
Kommentar von Nicole Opitz

Russland verbietet „Propaganda“ für Kinderlosigkeit und 59% der deutschen Männer meinen, dass man Kinder bekommen sollte. Staat und Männer: Lasst FLINTA entscheiden!

Eine Lücke, die für viele keine ist Foto: plainpicture, Montage: taz

K inder sind teuer. Keine zu wollen könnte allerdings auch kostspielig werden – zumindest in Russland. Das russische Parlament hat am Dienstag ein Gesetz erlassen, das „Propaganda“ zur Kinderlosigkeit unter Geldstrafe stellt. 400.000 Rubel soll das für Privatpersonen kosten, umgerechnet 3.800 Euro. 5 Millionen Rubel – das sind 48.000 Euro – für Unternehmen. Dabei ist völlig unklar, was mit Propaganda gemeint ist. Man stelle sich Menschen vor, die jahrelang mit ungewollter Kinderlosigkeit gerungen haben, die irgendwann ihren Frieden damit gefunden haben, darüber sprechen sie in einem Interview – und bekommen eine Geldstrafe. Kinderlosigkeit, die ein Vermögen kostet.

Klingt faschistoid, oder? Doch so weit weg ist man in Deutschland nicht vom Gedanken, dass zum guten Leben auch Kinder gehören: Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab, dass 59 Prozent der Männer der Meinung sind, dass die meisten Menschen Kinder haben sollten. Bei den Frauen sind es 33 Prozent.

Klar, es ist einfacher Vater zu sein als Mutter. Als FLINTA kann man sich ohnehin nur falsch entscheiden: Warum hat sie sich gegen Kinder entschieden? Wenn sie keine Kinder hat, warum macht sie dann nicht Karrie­re? Ist sie zu spät Mutter geworden? Zu früh? Wenn sie abends ausgeht, wer kümmert sich dann um die Kinder? Warum arbeitet diese Mutter schon wieder? Oder macht sie zu lange Pause?

Kinderkriegen ist politisch

Mehr noch als in anderen Ländern klafft in Deutschland eine Einkommenslücke: 30-jährige Väter verdienen im Durchschnitt 70 bis 80 Prozent mehr als 30-jährige Mütter. Männer mit Kindern verdienen etwas mehr als Männer ohne Kinder. FLINTA können bei der Vorstellung nur lachen. Denn für sie ist Kinder zu haben ein Armutsrisiko. Es gibt etliche andere Gründe von Klima- bis Kita­krise, sich gegen Kinder zu entscheiden, genauso viele wie die Entscheidung für ein Kind.

Es ist ein sehr sensibles Thema – gerade für Menschen, die Kinder haben wollen, aber nicht können. Das sind nicht wenige: Etwa jedes zehnte Paar in Deutschland ist ungewollt kinderlos.

Kinder (nicht) zu haben war immer schon politisch, vor allem für FLINTA. Der zwanghafte Reproduktionswahn hat viele Facetten: Seit jeher haben sich Nationalstaaten dafür eingesetzt, dass sich die eigene Bevölkerung vermehrt.

Das ist in Russland so, wo die Geburtenrate sinkt, das war in China so, wo man lange Zeit eine Ein-Kind-Politik vertrat und nun mit der Einführung einer Drei-Kind-Politik hoffnungslos versucht, gegen die Konsequenzen der Vergangenheit anzukämpfen. Man muss nicht „Der Report der Magd“ gelesen haben, um zu verstehen, wie desaströs solche reproduktive Regulierungen für das Privatleben der Menschen sein können.

My body, my choice

Auch in Deutschland mischt sich der Staat noch zu oft ein: Der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ist laut Paragraf 218 grundsätzlicht strafbar, Schwangere müssen sich in den ersten zwölf Wochen zwangsberaten lassen, damit sie und ihre Ärztin nicht unter Strafe gestellt werden. Der Paragraf 218 gehört zwar abgeschafft, doch wenn man sich als schwangere Person an die Schikane hält, hat man in Deutschland immerhin eine Wahl. Ein schmaler Korridor der Entscheidungsfreiheit.

Umso schockierender, dass die Mehrheit der Männer in Deutschland diesen Wert der Entscheidungsfreiheit nicht zu schätzen weiß. Ob jemand ein Kind bekommt, ist einzig und allein seine Entscheidung – Punkt. Jahrzehntelang kämpfen Feminist_innen immer wieder dafür, dass gilt: My body, my choice. Mein Körper, meine Entscheidung. Der Staat hat im Uterus nichts zu suchen.

Dabei hat die Bundespolitik just in Richtung reproduktive Rechte geblinkt: Seit Mittwoch sind sogenannte Gehsteigbelästigungen in Deutschland verboten. Demnach dürfen Schwangere vor Beratungsstellen und Kliniken nicht mehr belästigt werden. Zumindest also ein Ort weniger, an dem Menschen über den Kinderwunsch anderer urteilen.

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Nicole Opitz
Redakteurin
Seit 2019 bei der taz. Interessiert sich vor allem für Feminismus, Gesundheit & soziale Ungleichheit. BVHK-Journalismuspreis 2023.
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