: Mit Volldampf in die goldene Zukunft
Zweigschläge vom Zugbegleiter: Unterwegs mit dem opulent bestückten Versuchszug der Deutschen Bahn
Von Ernst Jordan
Hyvää päivää! Hyvää päivää!“ – anders als das Handtuch um seine darunter normal uniformierte Taille sitzt Zugbegleiter Michael Wedekings authentisch finnische Begrüßung noch nicht perfekt. Aber für jetzt muss es auch so gehen: Er greift den bereitliegenden Birkenquast und schlüpft mit uns gemeinsam schnell durch die Tür. Schon stehen wir mitten im Saunawagen, dem ersten Abteil des neuen Versuchszugs der Deutschen Bahn.
Hier testet das Unternehmen Ideen, die das Bahnfahren in Zeiten ständiger Verspätungen und ausfallender Züge wieder attraktiv machen sollen – aus Gründen der Kosteneffizienz alle gleichzeitig. Sehen können wir davon aktuell wenig, weil sich die Bahn eine moderne Dampfsauna geleistet hat. Die zufriedenen Kunden lassen sich aber vermuten: Wedeking wird für seine nur scheinbar wahllosen Birkenquastschläge nach links und rechts in den Dampf meist mit genießerischem Stöhnen belohnt.
„Kaffee? Cappuccino? Isodrinks?“, ruft er zwischendurch immer wieder aus, während wir uns vorsichtig im Dampf nach vorn tastend unseren Weg durch den Waggon bahnen. Am Ende gönnt er den Fahrgästen noch einen ordentlichen Aufguss. Erkennen können wir ihn dabei kaum, dafür fällt uns aber das Auge fürs Detail in diesem Zug auf: Entsprechend ihres Nachhaltigkeitsversprechens wurde der Saunaaufguss ausschließlich aus Nadelbäumen gewonnen, die für Neubaustrecken gefällt werden mussten.
Zufrieden und entspannt ob unserer tiefen Einblicke in das, was sich die Bahn in Zukunft deutschlandweit unter Kundenzufriedenheit vorstellen kann, verlassen wir das Abteil wieder. „So, geschafft!“, seufzt Wedeking erleichtert, für den dieser Job im erst seit wenigen Wochen in Betrieb befindlichen Zug ebenfalls recht neu ist.
Was nicht heißt, dass er ihn langsam angeht. „In den kommenden Waggons werden Sie sich ein Bild davon machen können, welche Zielgruppen wir noch im Blick haben“, zieht uns Wedeking weiter. Tatsächlich bietet sich im nächsten Abteil ein ganz anderes Bild als eben: Menschen in Smokings genießen im Kulturzug „Zu(g)kunft.In.Bewegung“.
Das können Theateraufführungen sein, momentan aber lauschen in einer Ecke junge, mit Pailletten beklebte Frauen gerade beseelt einem Konzert von Taylor Swift. Hier werden wirklich keine Kosten und Mühen gescheut, die Bahn meint es ernst mit der Kundenzufriedenheit.
„Und wenn sich mal wieder jemand aus dem Saunawagen hierher verirrt, dann bieten wir eben spontan Aktmalerei an“, erklärt uns Wedeking stolz. Als er jedoch merkt, dass uns die nebenbei stattfindende Trapezshow in luftigen anderthalb Metern Höhe nicht wirklich von den auch als Sitzen genutzten Stand-up-Hockern haut, zieht er uns lieber weiter.
Schon beim Anblick der ungewöhnlich kleinen und bunten Toilettenkabinen zwischen den Abteilen wissen wir genau, was jetzt kommt. Der ohrenbetäubende Lärm lässt dann keinen Zweifel mehr: „Jetzt!“, schreit Wedeking, „kommen wir zur ‚Kita Ruhewagen‘!“ Das sei leider kein Witz, sondern einer der wenigen Fehler bei der Planung: Alle Waggons dienen selbstverständlich auch der Personenbeförderung, zufällig wurden eben Kita und Ruhewagen zusammengelegt.
Die Kinder scheint das kaum zu stören, und auch die bebrillten FAZ-Leser rümpfen nur ab und an pikiert die Nase, wenn ihnen von der Gepäckablage mal wieder ein unerklärlicherweise schlammiger Schuh in den Nacken klatscht. Am beliebtesten sei der Kita-Waggon allerdings bei den Eltern, ruft uns Wedeking zu, während er durch den Seilgarten in den nächsten Wagen klettert. „Wo gibt es das sonst, ein Kind, das Sie am Ende des Tages abholt?“
Die Unterhaltung der Kinder sei jedoch kein außerplanmäßiger Halt, auch für Erwachsene gäbe es reichlich Entertainment. Kurz darauf können wir uns fröhlich jauchzend selbst davon überzeugen: Im nächsten Wagen finden sich Escape-Room, Jump House, sogar Schwarzlicht-Minigolf wird wieder angeboten, seit das zu Beginn noch verfügbare und direkt nebenan befindliche Bordbordell abgeschafft wurde.
„Dank eines Sponsorings von Tipico können Sie im 18+-Bereich sogar auf Verspätungen wetten“, führt Wedeking aus. Sehr clever, wie die Bahn hier aus der Not eine Tugend macht. Beim Verlassen des Entertainmentwaggons kommen wir an einem einzelnen, immer reservierten Platz vorbei, neben dem seit Stunden ein junger Mann selig auf seinem Koffer sitzt und den immersiven Trainride-Simulator zockt.
„Trotzdem ist der Versuchszug natürlich noch Work in Progress“, wirft Wedeking entschuldigend ein, als wir durch einige Abteile streifen, in denen nur normale Sitze vorhanden sind. Geplant seien unter anderem ein Fitness- und ein Mittelaltermarktwagen. Ein Safariwagen mit Option auf Großwildjagd erwies sich als nicht nachhaltig, der einzig jagbare Elefant sei in Wuppertal aus dem Zug gesprungen. So ein Fauxpas solle nicht noch ein drittes Mal passieren. Die Diskussion um einen Gefängniswagen hingegen finde bei der Fokusgruppe einfach keinen Ausgang.
Zu guter Letzt führt uns Wedeking in das Herzstück des Zugs: den Führerstand, in dem ein Demokratielabor mit angeschlossenem Bürgerrat alle den Zug betreffenden Entscheidungen nach Mehrheitsprinzip fällt. Hier hat jeder Passagier eine Stimme. Um Bundesdeutschland realistisch abzubilden, erhält man mit Erste-Klasse-Ticket allerdings zwei. Bahnbrechende Neuerungen seien derzeit noch in der Abstimmung, lediglich die basisdemokratische Wahl des Lokführers ab 2033 ist bereits beschlossen.
Als der Zug nach etlichen Stunden dann erstmalig hält – der Bürgerrat hatte ständig auf halber Strecke das Ziel geändert – verabschieden wir uns lieber schnell von Zugbegleiter Wedeking und verlassen das Wunderwerk der Versuchsanordnung. Leider nur, um festzustellen, im Versuchsbahnhof Stendal gelandet zu sein. Wirsch wimmeln wir alle Angebote ab, beim Umsteigen schnell unseren Perso verlängern oder eine Botoxbehandlung machen zu lassen und steigen für die Rückreise doch lieber auf einen privaten Bahnanbieter um. Der hat für Sperenzchen wie Reisequalität und Kundenzufriedenheit zum Glück so gar nichts übrig.
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