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Theater um Werthers LeidenPlaylist der Liebeslieder

Was denken Jugendliche heute von der romantischen Liebe? Das untersucht die Regisseurin Lies Pauwels mit Schülerinnen am Schauspielhaus Bochum.

Sie testen Goethes Sätze: Kaja Gruba, Dominik Dos-Reis, Şevval Ertürk, Helin Su Yusufoglu, Risto Kübar (v. li.) in Bochum Foto: Fred Debrock

Es beginnt mit einer Versuchsanordnung zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt: Wer auf der linken Seite der Bühne ans Stand­mikro tritt, kann nur Fragen an die Liebe stellen, rechts gehen die Fragen an den Tod. Wer auf der Bank in der Mitte sitzt, muss „historically dramatically“ in Ohnmacht fallen. Vorne an der Rampe sind die Worte gefordert: „I want so much more“.

Also rennen die Schauspieler Dominik Dos-Reis, Marius Huth, Risto Kübar und Lukas von der Lühe in den Kammerspielen des Bochumer Schauspielhauses mal hier-, mal dorthin, halten sich schmachtend die Hand an die Stirn, sinken pathetisch zu Boden oder stellen Fragen wie: „Tod, bist du ein neuer Anfang?“ Oder: „Können wir einen Vertrag schließen? Du liebst mich, ich dich, kein Drama?“

Die vier heftig Fühlenden machen die männlich gelesene knappe Hälfte des Bühnenpersonals aus, das die belgische Autorin und Regisseurin Lies Pauwels in „Werther (Love & Death)“ ins Rennen schickt. Ihre Pendants sind fünf Mädchen unter 16 Jahren, darunter auch die talentierte Tabea Zoí Sander, die schon in Pauwels Bochumer Erfolgsproduktion „Der Hamilton-Komplex“ mitgespielt hat.

Vier zu fünf also! Schon das Zahlenverhältnis macht klar, dass hier keine Paare zusammentreffen, wie Goethes Werther und seine Lotte eines hätten werden können. Und auch die Nebenfiguren des Briefromans kommen nicht vor. Nur einzelne Goethe-Sätze und selbst geschriebene Bekenntnisse, Gefühlsräusche und viel Spiel, vor dem Hintergrund einer pausenlos abgenudelten, aber sehr schönen Liebeslied-Playlist.

Werther (Love & Death)

Werther (Love & Death) wieder am Schauspielhaus Bochum am 7. + 14. 11., 1-, 15. + 26.12. 2024

Zur Erinnerung: In Goethes Jugendwerk „Die Leiden des jungen Werther“ aus dem Jahr 1774 geht der Protagonist aus enttäuschter Liebe in den Tod. Lieber ein Extrem gegen das andere tauschen als lau ohne die idealisierte Geliebte vor sich hin existieren. Das Buch zog seinerzeit eine Selbstmordwelle nach sich, den sogenannten Werther-Effekt. 250 Jahre später interessiert sich Pauwels für etwas, was sie das „Werther-Gefühl“ nennt. Was könnte das heute sein? Können junge Menschen überhaupt noch etwas mit der Idee der romantischen Liebe anfangen?

Unbeschriebene Blätter

Liest man das im Vorfeld der Uraufführung, ploppen Klischees im eigenen Kopf auf: immer frühere Erfahrungen mit Pornos im Netz, die Fixiertheit auf Oberflächenreize. Sie spielen für Pauwels glücklicherweise keine Rolle, die Lebenswirklichkeit der jungen Frauen allerdings ebenfalls nicht. Sie sind Projektionsflächen, unbeschriebene Blätter. Auf ihren T-Shirts stehen Angebote wie „Your idea here“, ihre Lippen bewegen sich stumm zu lockenden Liedzeilen wie „Come with me to the sea of love“.

Die großen Emotionen wie das Gros der Goethe-Texte kleben fest an den Männern, während die Mädchen ihnen mütterliche Ratschläge und riesige Kuschelmonster geben, sie wie Groupies anfeuern, verspotten („don’t be such a pussy!“) oder zum Fechtduell auffordern. Oft ziehen sie sich auch hinter den Vorhang mit Tür zurück, auf dem eine düstere Landschaft aufgemalt ist, durch die hindurch immer wieder Emojis oder grell kolorierte Bildchen von Pseudo-Idyllen blitzen.

Pauwels „Werther“-Collage ist ein ausufernder Abend, voller witziger und trashiger Ideen und Kostümwechsel, aber auch mit einer Menge szenischem Material, das besser im Proberaum geblieben wäre. Sein Grundproblem ist: Gefühlsausbrüche werden hier immer losgelöst von konkreten Situationen und den Menschen gezeigt, auf die sie sich beziehen könnten. Damit bleiben sie meist hohle Behauptungen, und nur wenige, betont schlichte Monologe gehen einem nah. Das kann natürlich Absicht sein, weil die Jungen von heute das Spiel mit den Worten längst durchschauen. Aber sind sie wirklich so abgeklärt?

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