piwik no script img

Politiker als „einfache Arbeiter“Das Volk imitieren, statt es zu vertreten

Politiker lassen sich gerne in „einfachen“ Berufen ablichten, um volksnah zu wirken. Dahinter steckt ein merkwürdiges Rollenverständnis.

Hätte er nicht einfach Pommesverkäufer werden können? Foto: Doug Mills/TNYT/ap

Eigentlich dachte man ja, das denkwürdigste Bild des amerikanischen Wahlkampfs wäre schon produziert gewesen: Donald Trump, der mit erhobener Faust die Menge anheizt, wenige Augenblicke nach einem Attentatsversuch auf ihn. Doch nun gelang es Trump, mit einem weiteren heroischen Bild die Medien weltweit zu fluten – als Held der Arbeit.

Der Millionenerbe stand an der Fritteuse eines McDonald's in Pennsylvania und verteilte Fast Food an hungrige Kunden. Ein offensichtlicher Versuch, Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse zu gewinnen. Trumps Schicht dauerte eine halbe Stunde, das Restaurant war während dieser Zeit geschlossen. Hereingelassen wurden nur vom Secret Service Überprüfte.

Wer jetzt behauptet, dass nur die blöden Amis auf einen so durchschaubaren PR-Stunt hereinfallen, dem sei ein Blick ins eigene Land nahegelegt. Julia Klöckner (CDU) in den Weinreben, Stephan Weil (SPD) beim Haareschneiden, Cem Özdemir (Grüne) als Kartoffelbauer: Auch deutsche Politiker packen öffentlichkeitswirksam mit an und produzieren dabei hübsche Bilder. Stellt sich bloß die Frage, was das eigentlich soll. Wirklich jeder weiß doch, dass Berufspolitiker beruflich Politik machen, keine Burger.

Natürlich geht es bei diesen kurzen Arbeitseinsätzen um Selbstinszenierung. Man könnte den tatkräftigen Politikern zwar zugutehalten, dass sie dadurch neue Eindrücke gewinnen. Aber reicht eine auf wenige Stunden, gar auf wenige Minuten begrenzte Tätigkeit als Kassiererin aus, um die Mühen dieses Berufs zu begreifen? Um nachzuempfinden, was es heißt, für wenig mehr als den Mindestlohn zu arbeiten, und um die Schmerzen im Rücken zu spüren, die jahrelanges Kistenschleppen verursacht? Wohl kaum. Wenn es ihnen wirklich darum ginge, Erfahrungen zu sammeln, würden sich die Polit-Profis dabei nicht inszenieren. Die Arbeitskleidung etwa kann ihre mangelnden Berufskenntnisse auch nicht verdecken.

Volksnah, fleißig, hart arbeitend

Die Bilder, die dabei entstehen, sollen den Politiker oder die Politikerin als Teil der „hart arbeitenden Mitte“ in Szene setzen und ihm oder ihr ein möglichst volksnahes Antlitz verleihen. Hier zeigt sich das merkwürdige Rollenverständnis vieler Berufspolitiker. Sie versuchen, das Volk zu vertreten, indem sie es imitieren. Man denke an den ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU), der mit zerzausten Haaren an einer Tankstelle steht, über die hohen Spritpreise klagt und „die vielen fleißigen Leute“ bittet, ihn bei der Forderung nach einer Spritpreisbremse zu unterstützen. Als wäre jemand anderes Ministerpräsident und nicht er selbst.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Genauso durchschaubar (und peinlich) ist es, wenn Friedrich Merz (CDU) einige Stunden lang den Krankenpfleger mimt. Für kurze Zeit einer sogenannten „einfachen Arbeit“ nachzugehen, macht eben keinen Spitzenpolitiker zum „einfachen Bürger“. Es zeugt vielmehr von Überheblichkeit, wenn man eine Arbeit als so einfach betrachtet, dass man sie mal locker selbst übernehmen kann.

Politiker sind keine Frisöre oder Bäuerinnen. So zu tun, als wären sie es, hilft nichts. Statt sich zu verkleiden, sollten die Volksvertreter lieber Politik für diejenigen machen, die sie imitieren. Blöd nur, dass es dafür mehr braucht als ein hübsches Foto.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Auch wenn ich dem Wahlkreis von Frau Klöckner komme, so unterstütze ich sie in den meisten Fällen nicht. Aber hier muss ich sie verteidigen. Sie kommt aus einem Weinbaubetrieb den mittlerweile Ihr Bruder Stephan erfolgreich führt. Sie selbst war erst Nahe- und dann deutsche Weinkönigig und auch zeitweise für ein Weinmagazin beruflich tätig. Also da kann man Ihr keine Politshow vorwerfen, bei anderen Aktionen sicher schon.

  • Entgegen der kritischen Sichtweise des taz-Artikels möchte ich die positiven Aspekte solcher Politiker-Einsätze in "einfachen" Berufen hervorheben. Auch wenn diese Aktionen oft inszeniert wirken, bieten sie Politikern die Chance, wertvolle Einblicke in den Arbeitsalltag verschiedener Berufsgruppen zu gewinnen. Sie können als symbolische Geste der Wertschätzung für diese Tätigkeiten verstanden werden und tragen dazu bei, die wahrgenommene Distanz zwischen Politikern und Bürgern zu verringern. Zudem können solche medienwirksamen Einsätze wichtige Diskussionen über Arbeitsbedingungen und Herausforderungen verschiedener Berufsgruppen anstoßen. Trotz berechtigter Kritik an der Inszenierung sollten diese positiven Effekte nicht unterschätzt werden.

  • Tatsache ist allerdings auch, dass sich gerade die Grünen in vielen Punkten von den Interessen der Arbeiterklasse weit entfernt haben, obwohl der gute Wille doch vorhanden ist. Cem Özdemir hat immerhin öfter auf die Stimmungen unter einfachen türkisch-sprechenden in Deutschland aufmerksam gemacht.

  • Man kann sich als Betrachter über dieses "so tun als ob" ärgern , man kann es aber auch nur bemerken. Minister Wissing hat sich kürzlich auf einer Gleisbaustelle und am Steuer eines LKW ablichten lassen. In diesen außerordentlich verantwortlichen Positionen aufzutreten "als ob" ist abwegig. Ich habe mir bei diesen Bildern gedacht : Warum stellt er nicht den verantwortlichen Bauleiter, Fuhrparkleiter etc. vor ? Das hätte die Öffentlichkeit interessiert und wäre als Anerkenntis deren unverzichtbarer Kompetenz, Eingeständnis der eigenen Inkompetenz allseits gut angekommen. Die Berufe der Abgeordneten des Bundestages, der Landtage kann man nachlesen. Es gibt wenige, die mit dem Ministerium, oder dem Ausschuss, dem sie angehören, verbunden sind. Das ist ein zu wenig beachteter Mangel des repräsentativen Systems. Von daher ist es ganz gut, dass der Artikel diese Auffälligkeiten bemerkt hat und hoffentlich weiter beobachtet.

    • @Hans - Friedrich Bär:

      Liggers. Geb ehna n Beispiel.



      Ein Kollege Weggefährte Freund - “du & ich - wir machens wenn wir gefragt werden - “



      Wurde frisch inthronisiert von dem lübschen Käseblatt oder TV? um ein Feature angegangen! Was das denn sollte? er rücke doch als Bördenleiter nur ein paar Zimmer weiter. Nein! Mal den Tageslauf eines Aktenbotens in Szene setzen - die tageintagaus hunderte ja tausende von Gerichts&Beiakten bewegten!



      Die! Hielten den Laden am laufen!



      Korrekt. Und als ich a 🚲 “…an der Wakenitz entlang - dann biste doch gleich da.



      Ich setz schon mal den ☕️☕️ auf!“



      Konnte ich den guten Geist greifen.



      (ps. nur das mit dem “…den müssen Sie besonders scharf kontrollieren!“ - hab ich - nicht so ganz verstanden!;)

  • Aufmerksam.