piwik no script img

Neues SelbstbestimmungsgesetzWer die Ampel sein könnte

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Das neue Selbstbestimmungsgesetz ist ein historischer Schritt für die Rechte von trans Personen. Die Ampel sollte sich viel öfter treu bleiben.

Die beiden grünen trans Frauen Tessa Ganserer und Nyke Slawik während der Debatte zum neuen Selbstbestimmungsgesetz Foto: dpa

D ie Große Koalition hatte eine Art Sport daraus gemacht, sich wohlklingende Gesetzesnamen auszudenken; sei es das „Gute-Kita-Gesetz“ oder das „Geordnete-Rückführung-Gesetz“. Am 1. November tritt nun ein Gesetz in Kraft, dessen positiver Name tatsächlich zum Inhalt passt: das „Selbstbestimmungsgesetz“.

Es löst das seit 1980 geltende Transsexuellengesetz ab – das über 40 Jahre lang die Grundrechte von trans Personen in Deutschland verletzt hat. Die Ampel hat hier Historisches geleistet. Sie sollte sich viel öfter so treu bleiben.

Mit dem Transsexuellengesetz war eine Personenstandsänderung für trans Personen seit 1980 zwar möglich, aber ein demütigender Prozess: Sie mussten Gutachten vorweisen, durften nicht verheiratet sein oder mussten sich scheiden lassen.

Bis 2011 waren sie gezwungen, sich sterilisieren zu lassen und geschlechtsangleichende Maßnahmen vorzunehmen – bis das Bundesverfassungsgericht klarstellte: Diese Eingriffe in die Würde, das Recht auf freie Entfaltung und die körperliche Unversehrtheit sind nicht tragbar.

Realitätsferne Kritik am neuen Gesetz

Diese Zumutung hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition und der Linken nun abgeschafft, trotz monatelanger massiver Hetze. Und die kam keineswegs nur von ganz rechts außen. Das Gesetz sei ein „echtes Risiko“ und missachte den Kinderschutz, wetterte die Union. Es gefährde Frauen, weil plötzlich jeder dahergelaufene Mann offiziell zur Frau werden könne, unterstellten andere und bezeichneten das als Feminismus. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein.

Berechtigte Kritik am Gesetz gibt es hingegen durchaus, etwa bei der schon jetzt uneinheitlichen Anwendung der neuen Regelung in den Standesämtern. In den großen Linien aber ist es eine historische Verbesserung. Und es steht nach Monaten der blockierten Vorhaben und gebrochenen Versprechen doch für jene progressive Haltung, mit der die Ampel einst angetreten ist.

Oft wird gerade der Ampel und besonders den Grünen vorgeworfen, sie würden sich zu sehr um das kümmern, was Gerhard Schröder einst abfällig „Gedöns“ nannte. Und ja, trans Personen machen in Deutschland weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus. Aber wie es um die Demokratie in einem Staat steht, zeigt sich immer auch an dessen Umgang mit Minderheiten.

Beim Selbstbestimmungsgesetz hat die Ampel klargestellt, für was sie steht. Dass sie ihre Werte gegen Hetze und Populismus verteidigen kann. Was diese Koalition bewegen könnte, wenn sie bei anderen Themen ähnlich standhaft bliebe!

Dieses Gesetz ist bei der Ampel die Ausnahme

Doch bei Schwangerschaftsabbrüchen ziert sich die Ampel, als hätten nicht zwei der drei Koalitionspartner deren Legalisierung in ihren Wahlprogrammen gefordert – und ihre Fraktionen das jüngst bekräftigt. Und in der Asylpolitik hat sie sich meilenweit nach rechts treiben lassen.

Dabei gilt hier wie auch beim Umgang mit der Vielfalt geschlechtlicher Identität: Wer es ernst meint mit Menschenrechten, der muss diese für alle sichern und verteidigen – umso mehr, wenn diese Rechte unter Beschuss stehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Dass dieses Gesetz so zustande gekommen ist, ist toll und ein Fortschritt für alle davon Betroffenen hin zu etwas mehr Normalität.



    Es ist aber wohl mehr ein Erfolg lang anhaltender Lobbyarbeit der entsprechenden Verbände denn der Weisheit und Güte der regierenden Parteien. Leider ist die Tatsache, dass dieses Gesetz als Leuchtturm des Erreichten der Ampel herausragt auch ein Zeichen, dass die Strategie des Durchdringens der Faktoren der gesellschaftlichen Anerkennung durch den Neoliberalismus funktioniert. Identitätspolitik (wohlweislich ohne - pfui! - Klassenidentität) und Anerkennung ersetzt faire Löhne und Verteilung, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe. Denn mit diesen Gütern geht leider es weiter deutlich bergab.

  • Ich freue mich auch sehr! Und wann dürfen endlich ALLE selbst über ihren Körper bestimmen (>> Abtreibungen legalisieren!!!

  • Freuen wir uns über einen weiteren Schritt verbesserter Gleichberechtigung.