Simone Dede Ayivi Diskurspogo: Siezen ist nicht höflich, sondern ausgrenzend
Es gibt viele Wege, Menschen zu zeigen, dass sie nicht dazugehören. Siezen ist einer davon. Siezen ist als Ausgrenzungstool so beliebt, weil sich das „Sie“ als angeblicher Ausdruck von Respekt und Wertschätzung tarnt. Der Hieb knallt dem Gegenüber nicht direkt vor den Kopf. Er trifft so von der Seite: passiv-aggressiv.
Denn eine formale Anrede in einem informellen Rahmen schafft vor allem eins: Distanz. Siezen ist hier eine Verweigerung von Verbindung. Es sagt: „Du bist kein Teil der In-Group. Du bist nicht du. Du bist Sie.“ In einer Welt, in der ich selbst von Ikea geduzt werde, will das schon was heißen.
Besonders auffällig ist das im Netz. Wer dich in den Kommentaren siezt, will dir nichts Gutes. Sondern dir erklären, warum du keine Ahnung hast. Von nichts! Auch die Online-Formulierung „diese Dame“ funktioniert so:
Noch nie in der Geschichte des Internets hat jemand unter irgendwas, das eine Frau geschrieben hat kommentiert: „Diese Dame hat Recht und ich habe viel von dieser Dame gelernt.“
Die vornehme Bezeichnung „Dame“ wird ins Spiel gebracht, um darauf hinzuweisen, dass dieser Text von einer Frau geschrieben wurde.
Meist folgt auf „diese Dame“ etwas, das der Autorin die Kompetenz abspricht. Ich selbst bin unter Duzenden aufgewachsen. In meiner Familie haben sich alle geduzt. Als Kind und Jugendliche war ich „du“; auch unter Kommiliton*innen und Freund*innen duzt man sich; dann das Genossen-Du und das Kollegen-Du am Theater: Wir duzen junge Menschen und solche, die uns nah sind.
Menschen, mit denen wir etwas teilen. Dass mir nun immer häufiger ein Sie entgegen geschleudert wird, kann zwei Dinge bedeuten: Ich bin alt. Oder ich bin eine Außenseiterin. Es ist wohl Option drei: Ich bin älter geworden und werde deshalb in Räumen, die zu meinem gewohnten Umfeld gehören, als Außenseiterin gesehen.
Verunsichernd bis schmerzhaft ist das an Orten, die entstanden sind, weil Menschen sich zusammengeschlossen haben, weil sie im Alltag „anders“ behandelt werden. An Orten also, in denen man sich gefunden hat, um gemeinsam „anders“ zu sein – auf einer feministischen Party oder in Schwarzen Räumen. Nach einer Weile mal wieder in den Punkrock-Schuppen zu kommen, in dem man viel Zeit verbracht hat und dort mit einem freundlich skeptischen „Suchen Sie was?“ begrüßt werden, ist ein harter Burn.
Es gibt so viele Erzählungen darüber, dass Menschen im Alter konservativer werden, und da draußen sind genug Leute, die darauf warten, dass ich endlich aus meiner rebellischen Phase rauswachse. Da muss die eigene Szene oder Community ja nicht mitspielen!
Ältere Leute in einem queeren Laden sind nicht automatisch die Eltern, die irgendwer mitgebracht hat, sondern vielleicht einfach alte Queers. Wir alle legen unsere Identität und unsere Marginalisierungserfahrungen nicht ab, sobald wir vierzig sind.
Wir sind weiterhin auf Schutzräume angewiesen. Viele von uns hat das Leben irgendwie eingeholt und der Alltag mit Lohnarbeit und Sorgearbeit lässt vielen kaum Raum.
Ich bin definitiv keines von den coolen Kids mehr. Aber ich bin immer noch cool. Also siez mich nicht von der Seite an.
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