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Rundum-Grün in KreuzbergNein, wir sind hier nicht in Tokyo

Kommentar von Claudius Prößer

Die Grünen wollen die Ausnahme-Ampelschaltung am Checkpoint Charlie schützen – und bemühen einen fragwürdigen Vergleich.

Radfahrende kommen sich hier gerne mal mit dem Fußverkehr in die Quere, sagt der Senat Foto: IMAGO / tagesspiegel

S chwarz-Rot hat’s gegeben, Schwarz-Rot will’s wieder nehmen: Die sogenannte „Rundum-Grün-Kreuzung“ am Checkpoint Charlie, im Jahr 2000 unter dem Diepgen-Senat als Verkehrsversuch eingeführt und mehr aus Bräsigkeit als aus verkehrstechnischen Erwägungen beibehalten, soll bald wieder zur stinknormalen Kreuzung werden, auf der die FußgängerInnen parallel zum Auto- und Radverkehr „Grün“ haben. Das hat die CDU-geführte Mobilitätsverwaltung schon im vergangenen Jahr angekündigt.

Die Grünen finden das gar nicht gut. VertreterInnen des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverwaltung von Friedrichshain-Kreuzberg wollen kommende Woche vor Ort für die endgültige Verstetigung der in Berlin einzigartigen Regelung trommeln. Das Kreuzberger Rundum-Grün sei der berühmten Tokyoter Shibuya-Kreuzung nachempfunden und ein „Highlight für Tourist*innen“. Um dieses noch heller strahlen zu lassen, fordern sie, „als Zeichen für ein weltoffenes Berlin die Zebrastreifen in Pride-Farben umzusetzen“.

Abgesehen davon, dass es auf deutschen Kreuzungen mit Ampelschaltung keine Zebrastreifen gibt – gemeint sind wohl die gestrichelten Linien der sogenannten Fußgängerfurten –, gehört der Verweis auf Japan zu den im Wortsinn weltfremden Berliner Selbstüberschätzungen. Wer das nördliche Kreuzberg für Shibuya hält, hält auch die Friedrichstraße für die Fifth Avenue und den Gendarmenmarkt für die Piazza Navona. Dass den TouristInnen in ihren rumpeligen Cabrio-Doppeldeckern zuverlässig die Einzigartigkeit des Rundum-Grüns eingebläut wird, ändert daran gar nichts.

Die eigentlichen Fragen sind: Macht die Sonderregelung die Kreuzung sicherer? Und macht sie sie effizienter oder komfortabler? Letzteres glaubt die Verkehrsverwaltung ausschließen zu können, wie auch aus der Antwort auf eine Grünen-Anfrage im vergangenen Jahr hervorgeht. Sie argumentiert, durchaus zu Recht, dass durch die drei getrennten Ampelphasen nicht nur die Autos, sondern auch die zu Fuß Gehenden länger warten müssen. Die stauten sich dadurch auch auf der Mittelinsel am U-Bahn-Ausgang und querten dann gerne mal bei Rot. Viele kapierten noch nicht einmal, dass hier eine von der Norm abweichende Regel gilt.

Nur mal zum Vergleich: Shibuya-Kreuzung in Tokyo Foto: IMAGO / Pond5 Images

Ein bisschen sicherer

Dass FußgängerInnen die Kreuzung ohne motorisierte Abbieger sicherer queren können, muss die Verwaltung allerdings auch einräumen. Sie verweist dafür darauf, dass das nicht für Radfahrende gilt, zumal die sich beim „indirekten Linksabbiegen“ (man rollt erst geradeaus und biegt gegenüber ab, sobald die querende Richtung Grün hat) teilweise mit den zu Fuß Gehenden ins Gehege kommen.

Die nackten Zahlen sagen: Seit Beginn des Verkehrsversuchs ist die Häufigkeit von Unfällen gesunken, wenn auch nicht dramatisch – abgesehen von den verkehrlich entspannteren Pandemiejahren. Reicht das als Argument, um das Rundum-Grün unter Denkmalschutz zu stellen? Wahrscheinlich ja. Viel mehr ist aber nicht dran. Wenn es Dinge gibt, die Berlin zur Weltstadt machen, gehört eine popelige Ampelschaltung sicher nicht dazu.

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Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.
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