100 Jahre Kinder- und Jugendhilfe: Lachendes Auge, weinendes Auge

Seit dem Jahr 1924 gibt es Jugendämter. Für viele Beschäftigte ist das nicht nur ein Grund zum Feiern – sie kritisieren die oft schlechten Arbeitsbedingungen.

Demonstierende halten ein Transparent mit der Aufschrift "SOS Jugendamt in Not"

Die Probleme sind nicht neu: Demo der Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes im Jahr 2019 Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Die Jugendämter in Deutschland feiern dieses Jahr ihr hundertjähriges Bestehen – jedoch ist dieser Jahrestag im Vergleich zu anderen Jubiläen relativ unbekannt. Am 1. April 1924 trat in der Weimarer Republik das Reichsgesetz zur Jugendwohlfahrt in Kraft, das die rechtliche Grundlage für die Arbeit der Jugendämter schuf und so den Beginn einer modernen Sozialarbeit im Bereich Jugendpflege und Jugendfürsorge markiert. Viele Gemeinden organisieren dieser Tage aus diesem Anlass Ausstellungen und Veranstaltungen. In Berlin findet eine zentrale Jubiläumsfeier am Montagnachmittag im Roten Rathaus statt.

Gleichzeitig gibt es auch Kritik. Die AG Weiße Fahnen, eine Gruppe von Beschäftigten in Berliner Kinder- und Jugendeinrichtungen, ruft am Montagnachmittag um 14 Uhr zu einer Protestfeier vor dem Roten Rathaus auf. Die Ak­ti­vis­t*in­nen wollen dabei keineswegs die historischen Verdienste der Pio­nie­r*in­nen der Jugendarbeit aus der Weimarer Republik in Abrede stellen, die unter anderem auch in sozialistischen und kommunistischen Bewegungen aktiv waren.

Ihr Fokus liegt dagegen auf den aktuellen Arbeitsbedingungen im Jugendhilfesystem, die oft unzureichend sind und die Beschäftigten an ihre Grenzen bringen. Die Ak­ti­vis­t*in­nen fordern deshalb nicht nur eine Anerkennung der historischen Leistungen, sondern auch eine grundlegende Reform des Systems, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und eine zeitgemäße Jugendhilfe zu gewährleisten.

Arbeitsbedingungen sind unzureichend

Diejenigen, die täglich das Jugendhilfesystem am Laufen halten, und die Menschen, die im System keine Hilfe bekommen, sehen keinen Grund zum Feiern, wird in dem Protestaufruf hervorgehoben. „Es fehlt an allen Ecken und Enden. Während oben Kaviar gereicht wird, kämpfen wir unten um das Nötigste: Klopapier, Dolmetscher, Ausstattung, jeden Cent, notwendige Hilfen, jede Fachleistungsstunde oder die Hauptstadtzulage für Alle“, fasst Verena Bieler von der AG Weiße Fahnen sehr anschaulich zusammen.

Das gesamte System der Jugendarbeit stehe vor dem Kollaps. Überall herrsche Elendsverwaltung. In dieser Situation sei kein Raum für große Jubiläumsfeiern, meint nicht nur Verena Bieler. Zur Protestkundgebung wollen auch weitere gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte der Kinder- und Jugendarbeit kommen. Auch der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) sowie der Berliner Solidaritätstreff für So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen rufen zur Protestfeier auf.

Trotz der ernsten Lage wollen die Protestierenden die gute Stimmung nicht vermiesen lassen und fordern auf, zur Protestfeier Konfetti, Tröten, Girlanden und Partyhütchen mitzubringen. Dabei stehen die Dringlichkeit ihrer Anliegen im Vordergrund: Sie fordern eine bessere Finanzierung der Jugendhilfe, angemessene Entlohnung und ausreichende Mittel für die Ausstattung der Ämter und Projekte sowie eine stärkere Beteiligung der Basis bei wichtigen Entscheidungsprozessen in der Kinder- und Jugendhilfe.

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