Schädel von Indigenem aus Chile: Eine halbe Rückgabe

Lübecks Sammlung der Kulturen der Welt hat Indigenen aus Feuerland einen Schädel zurückgegeben. Begraben wird er dennoch in Lübeck – zu seinem Schutz.

Frauen in Pelzen sitzen vor einem tisch, auf dem eine mit Ornamenten verzeirete Dose steht

Die verzierte Dose birgt den Schädel des Mannes, den sie Hoshkó nennen Foto: Markus Scholz/dpa

Lübeck taz | „Wir sind hier, um Ihnen Ihren Vorfahren zurückzugeben“, sagte der Direktor der Lübecker Museen Tilmann von Stockhausen zu den chilenischen Besuchern. Die Chilenen von der indigenen Gemeinschaft der Selk’nam in Feuerland haben dem Vorfahren den Namen Hoshkó gegeben, weil sie seinen echten Namen nicht mehr wissen. Sie wissen nur, dass er etwa fünfzig Jahre alt wurde und dass ein Auswanderer aus Deutschland seinen Schädel 1914 dem damaligen Völkerkundemuseum in Lübeck schenkte.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts erwarben oder raubten deutsche Museen, Sammlungen und medizinische Institute tausende Schädel von Menschen aus Kulturen, die Opfer kolonialer Ausbeutung bis hin zum Ethnozid wurden.

Heute ist der Schädel von Hoshkó in einer Holzkiste, die mit grüngoldenen Ornamenten aus Lackfarbe aufwändig verziert ist. Er steht in Lübecker Renaissance-Rathaus, umringt von Kameras. Filmteams zeichnen die Zeremonie auf, mit der der Schädel des Chilenen seiner Gemeinschaft zurückgegeben wird.

Die Restitution passt, wie das geplante Verbot des privaten Handels mit Schädeln, perfekt in aktuelle Wiedergutmachungs-Debatten. Das ist doch mal eine positive Nachricht: Wir kümmern uns, wir sagen Entschuldigung, wir geben zurück, was uns nicht wirklich gehört.

Erste Restitution schon 1911

Dabei ist das so neu nicht. „Schon 1911 gab es eine Rückgabe menschlicher Überreste nach Samoa“, sagt Sarah Fründt vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Es bezahlt seit 2019 Forschungen zur Herkunft von Museumsobjekten und ihre Rückgabe. Von insgesamt rund 80 Anträgen zu Kolonialforschung „sind ein Viertel bis ein Drittel Forschungen zu menschlichen Überresten“, sagt sie der taz.

Vor einer solchen Rückgabe liegt viel Arbeit. Jahrelang erforschte eine Wissenschaftlerin die Objekte der Sammlung, die seit diesem Jahr nicht mehr altbacken „Völkerkunde“, sondern „Kulturen der Welt“ ausstellt. Unter den 26.000 Objekten fand sie 26, die etwa aus Gewaltkontexten stammen und zurückgegeben werden sollen. Postwendend gab es im Kulturausschuss Debatten: Wem gibt man die Objekte zurück, wenn sie etwa aus einem diktatorisch regierten Land kommen?

Mit den Selk’nam ist der Leiter der Sammlung Lars Frühsorge seit rund zwei Jahren in Kontakt, es gab gegenseitige Besuche. An diesem Tag sind vier Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinschaft gekommen, rituell bemalt und in traditionellen Fell-Ponchos. „Die sterblichen Überreste unserer Vorfahren sind keine Ausstellungsstücke“, sagt die Selk’nam Hema’ny Molina. Sie bedankt sich mit einem traditionellen Collier als Gegengeschenk.

Alle sind sich einig, dass der Schädel beerdigt werden soll – allerdings in Lübeck. Die Delegation wird mit leeren Händen zurückfahren und hofft, ihn irgendwann später holen zu können. Der Grund: Sobald sie ihn über die Grenze nach Chile bringen, wird er in den Besitz des chilenischen Staates übergehen – und dort wahrscheinlich in einem Museum ausgestellt.

Chilenische Gesetze schützen alle, außer uns“

„Er gilt als archäologisches Erbe, dabei ist er erst hundert Jahre alt“, sagt die Selk’nam Marcela Compte. Ihre ethnische Gruppe, sagt sie, galt bis vor einem Jahr als ausgestorben. Indigene hätten in Chile keine eigenen Territorien, keine Selbstverwaltung und kaum Rechte – auch nicht das Recht, ihre Toten aus der Kolonialzeit aus den Museen zu holen und zu bestatten.

„Wir sind seit 10.000 Jahren in Feuerland. Den chilenischen Staat gibt es erst 200 Jahre“, sagt Molina. „Seine Gesetze schützen alle, außer die ethnischen Gruppen.“ Sie hofften jetzt, dass ein Gesetz zum Schutz des Kulturerbes im Kongress beschlossen wird, das ihre Rechte stärkt.

Dann wollen sie noch einmal nach Lübeck kommen – und Hoshkó nach Hause holen.

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