: Jünglinge, Torten und Schuhe
Es gibt ein Leben nach Flick: Die Sammlung Marx kehrt in den Hamburger Bahnhof in Berlin zurück, und präsentiert sie nun als eine überraschend vitale Angelegenheit. Unterstützt wird die neue Lebendigkeit durch die Freunde der Nationalgalerie, die für das Haus zeitgenössische Kunst erwerben werden
VON BRIGITTE WERNEBURG
Kunsthallen können, wie jetzt die Frankfurter Schirn, aktuellen Trends ein Forum bieten. Von „Wunschwelten“ künden und der Wiederkehr eines romantischen Gefühls in der allerjüngsten Malerei, Fotografie und Videokunst. Museen mit ihren Sammlungen sind da nicht konkurrenzfähig. Das „Berliner Zimmer“ im Hamburger Bahnhof stellt eben einzelne Neuerwerbungen von Thomas Demand, Corinne Wasmuth, Michel Majerus, Daniel Pflumm, Astrid Klein, Janet Cardiff, Johannes Kahrs und Via Lewandowsky vor. Als Plattform für die Produktion oder für die Systematisierung gegenwärtiger Kunstdebatten kann die jetzt eröffnete Schau schwerlich dienen.
Dennoch ist eine neue Lebendigkeit im Hamburger Bahnhof festzustellen. Zwei umstrittene Großereignisse des letzten Jahres haben sich letztlich doch als förderlich erwiesen: Das Einspielergebnis des „MoMA in Berlin“ führte zur Gründung einer Stiftung für zeitgenössische Kunst. Mit den Zinserträgen des eingebrachten Kapitals von 6 Millionen Euro werden die Freunde der Nationalgalerie ausschließlich Arbeiten ankaufen, die nicht älter als zehn Jahre sind und von Künstlern stammen, die das 45. Lebensjahr nicht überschritten haben, wobei letzteres Kriterium wenig stichhaltig ist und von der Unsicherheit der Stifter zeugt. Immerhin: Erstes Resultat ist das von Britta Schmitz kuratierte „Berliner Zimmer“. Auch die Sammlung Friedrich Christian Flick stellt nach dem Ende ihrer Übernahme des ganzen Hauses eine Herausforderung für das Haupthaus dar, nicht hinter die Präsentationen in den Rieckhallen zurückzufallen. Aktualität wie die konzentrierte Aufbereitung der Schätze bekommen einen neuen Stellenwert. Und so ist Mario Merz’ „La Goccia d’Acqua“ (1987), eines jener ubiquitären Iglus, die inzwischen jedes Museum sein Eigen nennt, glücklicherweise im Depot verschwunden. Gälte Gleiches für Anselm Kiefers Bleiflugzeug „Mohn und Gedächtnis“ (1989) und seine Bleifolianten „Volkszählung“ (1991), dann dürfte man die Wiederkehr der nun endgültig in Berlin verbleibenden Sammlung Marx im Hamburger Bahnhof ohne Abstriche als gelungen bezeichnen.
Selbstbewusst läuft sie unter dem Titel „Do it yourself“, der einer Arbeit von Andy Warhol entliehen wurde. Heiner Bastian, als Kunstberater von Erich Marx bislang für die Präsentation der Sammlung zuständig, ist außen vor. Die ihr entnommenen „Positionen von den Sechzigerjahren bis heute“ verantwortet erstmals der Leiter des Hamburger Bahnhofs, Eugen Blume, zusammen mit Joachim Jäger und Melanie Franke. Dem Team fielen für diese Aufgabe viele schöne Lösungen ein.
Zunächst einmal ist die Idee richtig, die große Haupthalle wie auch die mächtige Kleihues-Halle mit Einbauten zu unterteilen, ohne dabei den Eindruck der offenen Ausstellungssituation zu schmälern. Wie hervorragend dies funktionieren kann, zeigt die Eingangssituation, in der zwar das stierblutrote Wandgemälde „Ed io anche son architetto“ (1988) des schrecklich pathetischen Gerhard Merz wie eine Barriere in den Raum gestellt ist, als solche aber dem Besucher paradoxerweise das Gefühl eines ausdrücklichen Empfangs vermittelt.
Die Einbauten schaffen intime Räume mit erhöhter Aufmerksamkeit für die einzelnen Werkblöcke. Ein Gewinner ist Joseph Beuys, dessen Skulpturen, Objekte und Installationen eine unbedingt, ja, wie soll man sagen, lichte, liebevolle Einbettung brauchen; sonst sehen sie in ihrer dichten Präsentation doch immer wie bestellt und nicht abgeholt aus – so wie es noch im dämmrig beleuchteten Westflügel des Hamburger Bahnhofs zu beobachten ist. In der Haupthalle dagegen beeindruckt seine „Straßenbahnhaltestelle“ (1976), die zweite Fassung seiner Arbeit für den deutschen Pavillon der Biennale von Venedig, nun in ihrem eigenen, hell erleuchteten Karree als ein kardinales Werk.
Ein Gewinner ist auch Andy Warhol, der geradezu von den Toten auferstanden scheint. „Als Popkünstler“, wie Heiner Bastian auf der Pressekonferenz spitz bemerkte. Die Installation seiner Arbeiten erweist sich allerdings als das schlecht zu widerlegende Argument, dass Warhol als erstrangige Künstlerfigur des 20. Jahrhunderts ohne den Popkünstler Warhol eben nicht zu haben ist. Da hilft auch der Begriff des intermedialen Warhol nicht, mit dem Blume Bastian zu besänftigen suchte. Der riesige „Mao“ (1973), der früher von der Stirnwand der Kleihues-Halle sphinxhaft-herrisch den Besuchern entgegen grinste, prangt nun auf dem Endlos-Rapport einer Mao-Tapete, wobei plötzlich weniger das Sujet, Superstar Mao, als eben das Tafelbild selbst, der Siebdruck mit seinen auffälligen malerischen Momenten beeindruckt.
Gelungen ist im Besonderen das kleine Kabinett mit Zeichnungen von Warhol, die Jünglinge, Torten und Schuhe, die sogar um eine Vitrine mit kostbaren Schuhexponaten ergänzt wurde. Auch dieses Prinzip einer durchaus kessen, riskanten Kontextualisierung durch konkrete Objekte, die anderen Museumslinien entstammen, ist ein Gewinn. Cy Twombly wurden so die Gipsabgüsse berühmter Statuen beigesellt, die seine Antikenrezeption sinnbildlich vor Augen führen wollen. Robert Rauschenbergs Siebdruckwerke umfangen eine Glasplatteninstallation von John Cage, die er anlässlich des Todes von Marcel Duchamps entwarf. Luc Tuymans ist durch einen Morandi ergänzt, der die lahme, blasse Malerei des Belgiers dann doch nobilitiert.
Neben diesen spielerischen, sterilen Pathos abholden Ergänzungen der Sammlung Marx tragen auch die Neuankäufe zu deren ungewohnter Frische bei, darunter eine Arbeit des diesjährigen Repräsentanten im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig, Thomas Scheibitz. Vor diesem Hintergrund wird der Schritt unumgänglich, den Mies-van-der-Rohe-Bau der Neuen Nationalgalerie zur Ausstellungs- und Kunsthalle umzufunktionieren. Dann könnte Berlin auch auf institutioneller Ebene zu seiner Fama als dem maßgeblichen Ort der zeitgenössischen Kunstproduktion und -debatte aufschließen. Und es wäre die Grundlage für den Erfolg des nun endlich angeschobenen, eigenen Sammelns geschaffen.
Bis 14. August, Begleitheft „Museum der Gegenwart 2“, 4 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen