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Unbekannte hängen Plakate aufBürgerwehr-Aufruf macht Dorf unsicher

Im Kreis Gifhorn rufen Unbekannte zur Gründung einer Bürgerwehr auf. Der Ortsbürgermeister vermutet, es sollen diffuse Ängste geschürt werden.

So stellen sich das Unbekannte vermutlich in Osloß vor: Nächtliche ­Patrouillen mit Fackeln Foto: Jens Schluzeter/dpa

Göttingen taz | Osloß im Landkreis Gifhorn: Das Dorf liegt an der Aller und knapp zehn Kilometer nordwestlich von Wolfsburg, hat rund 2.000 Einwohner, im Gemeinderat verfügt die SPD über eine Zweidrittelmehrheit. Es gibt eine Grundschule und einen Kindergarten, die Freiwillige Feuerwehr und einen Sportverein – viel mehr los ist hier sonst nicht. Ein Hort des Verbrechens sei der Ort jedenfalls nicht, sagt der sozialdemokratische Bürgermeister Axel Passeier: „Hier ist es ziemlich ruhig. Natürlich kommt mal ein Kürbis oder ein Blumentopf weg, aber mehr nicht.“

Und auch Christoph Nowak, Sprecher der Polizeiinspektion Gifhorn, erklärt: „Osloß ist nun wirklich kein Brennpunkt für erhöhte Kriminalität.“ Tatsächlich taucht Osloß beispielsweise bei gemeldeten Wohnungseinbrüchen oder Körperverletzungen im Presseportal der Polizei in diesem Jahr überhaupt noch nicht als Tatort auf. Im Vorjahr gab es dem Portal zufolge zwei Einbrüche, eine Körperverletzung im Rahmen eines Paarstreits, einmal schoss ein Mann mit einer Schreckschusswaffe in die Luft.

Scheinbar ganz anderer Ansicht, was die Sicherheit in Osloß angeht, sind die anonymen Verfasser und Verteiler von Flugblättern und Plakaten, die zur Bildung von Bürgerwehren aufrufen. Die Flyer mit der groß gesetzten Überschrift „Oslosser Bürger gehen Patrouille“ klebten in den vergangenen Tagen an Laternenmasten, Mülleimern und einigen öffentlichen Gebäuden wie dem Feuerwehrhaus. Die Adressaten des Appells, also wohl die Einwohner, sollen Streife gehen, Auffälligkeiten melden und für Ordnung sorgen.

Statt eines Impressums oder Absenders ist auf den Flugblättern der Telegram-Kanal #Sicherer.Ort.Osloss angegeben. Wer ihn aufrufen will, landet allerdings im Nichts.

Alles friedlich im Dorf

„Was soll das?“, fragt sich Bürgermeister Passeier. Hätte er einen Ansprechpartner, könnte er auf diesen zugehen und mit diesem über die Beweggründe für den Bürgerwehr-Aufruf sprechen. „Aber so?“ Gleichwohl äußert Passeier eine Vermutung: Die unbekannten Flugblattschreiber wollten wohl diffuse Ängste schüren, eventuell auch im Zusammenhang mit den etwa 50 im Dorf lebenden Geflüchteten. Dabei gebe es keinerlei nennenswerte Probleme mit der Integration.

Die Publizistin und Politikwissenschaftlerin Nina Bust-Bartels, die selbst ein Buch über Bürgerwehren geschrieben hat, kann ebenfalls nur Vermutungen anstellen, wer hinter den Flugblättern steckt. „Ich könnte mir vorstellen, dass es eine rechtsextreme Gruppierung war, die mit diesem Flyer gezielt Unsicherheit verbreiten wollte“, sagte sie dem NDR.

Diese Rechten würden sich aber nicht selbst als Verfasser outen: „Es hat natürlich eine viel größere Legitimation, wenn scheinbar normale Bürgerinnen und Bürger dazu aufrufen, eine Bürgerwehr zu gründen.“ Bürgerwehren werden gezielt von rechtsextremen Akteuren genutzt, sagt Bust-Bartels. Rechtsextreme würden auf diese Weise das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen und ein Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung befördern.

Direkt nach dem Auftauchen der Flyer hat Bürgermeister Passeier die Polizei eingeschaltet, die nun gegen Unbekannt ermittelt. Auch der Staatsschutz sei mittlerweile involviert, so Polizeisprecher Nowak. Er betont, dass allein der Aufruf in den Flyern und Plakaten noch keine Straftaten darstellt. Es komme darauf an, ob und wie diese Ankündigung umgesetzt werde.

Rechtlich darf eine Nachbarschaftswache oder Bürgerwehr zwar „auf Streife gehen“ und die Umgebung beobachten – mehr allerdings auch nicht. Als privat organisierter Gruppe stehen ihr keine Sonderrechte zu, sondern lediglich die auch jedem anderen Bürger zustehenden Befugnisse. Das heißt: Wer eine Straftat beobachtet, darf dem Opfer Nothilfe leisten und ihm helfen, sich gegen Täter zu verteidigen. Zudem gestattet das „Jedermann“-Festnahmerecht es, eine andere Person unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne richterliche Anordnung vorläufig festzuhalten.

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