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Immer politisch geblieben

Vor 20 Jahren wurde am Kottbusser Tor der Festsaal Kreuzberg eröffnet. Heute residiert der Club in Alt-Treptow. Eine Geschichte des Wandels mit Aufs, Abs – und Aufs

„Wir bewegen uns nicht in den immergleichen Nischen“: Festsaal-Betreiber Björn von Swieykowski Foto: Steve Braun

Von Jens Uthoff

Nirgendwo ist Kreuzberg so Kreuzberg wie am Kottbusser Tor. Von hier aus scheint das Neben- und Durcheinander von Herkünften und Haltungen, Styles und Codes, die Anmutung von Süchten und Sehnsüchten in den Ortsteil hineinzustrahlen. In der Skalitzer Straße 130, zu Füßen der massiven Blöcke des Zentrums Kreuzberg – besser bekannt als NKZ – beginnt am 4. Oktober 2004 auch die Geschichte des Festsaals Kreuzberg. In einem äußerlich unscheinbaren Hinterhaus neben einer Moschee, in dem vorher Hochzeitsfeiern stattfanden, eröffnet damals der Veranstaltungsort, der ein Programm macht wie vielleicht kein Berliner Club zuvor.

„Wir haben Punkkonzerte, Boxgalas und Wrestlingshows veranstaltet, es gab türkische Hochzeiten bei uns, ich erinnere mich aber auch an Abende mit nigerianischen Sängern und russischen Privatfeiern“, sagt Björn von Swieykowski, der den Festsaal damals mit zwei befreundeten Veranstaltern gegründet hat. In den Nullerjahren bildet der Festsaal mit den umliegenden Clubs eine magische Ausgehmeile. „Es gab den Monarch, das West Germany, die Paloma Bar und den Festsaal. Wenn du wolltest, konntest du von einem Club zum anderen ziehen. Und du hast überall Leute aus der Kulturszene auf der Straße getroffen“, so von Swieykowski.

20 bewegte Jahre hat der Festsaal Kreuzberg nun hinter sich – und eine große Zäsur: Im Juli 2013 brennt der Saal nahe des Kotti aufgrund eines technischen Defekts aus und muss schließen. Heute liegt er wenige Meter hinter der Bezirksgrenze auf dem Arena-Gelände in Treptow. Geblieben in all der Zeit ist: das diverse Programm.

„Ganz unterschiedliche Communitys und Szenen fühlen sich bei uns wohl“, sagt von Swieykowski, der den Veranstaltungsort noch immer betreibt. „Was alle dabei vielleicht verbindet: eine progressive, humanistische Grundhaltung, die sich im Schaffen der Künst­le­r*in­nen ausdrückt. So können sie sich auch in all ihrer ästhetischen Unterschiedlichkeit gegenseitig anerkennen.“

20 Jahre später steht Björn von Swieykowski wieder an der Skalitzer, er kommt gerade vom Dönerladen. „Den Betreiber kenne ich noch gut, der feiert bald 40-jähriges Bestehen.“ Gemeinsam mit Christoph Nahme und Christopher Schaper eröffnet von Swieykowski 2004 hier den Festsaal, die drei kennen sich aus Göttingen. Der alte Betreiber des Hochzeitssaals, ein türkischer Geschäftsmann, überlässt ihnen die Räume.

In Prenzlauer Berg sterben damals langsam die letzten interessanten Orte aus, Kreuzberg hingegen erfährt eine Wiederentdeckung. „Mit dem wilden Osten war es vorbei, Kreuzberg war wieder im Kommen. Da waren wir einmal in unserem Leben zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, sagt von Swieykowski, lacht und schlendert an der Hochbahn entlang in Richtung des neuen Standorts.

Der „alte“ Festsaal Kreuzberg wird ein Fixpunkt im Berliner Nachtleben. Der Ort strahlt für viele Wohnzimmeratmosphäre und -wärme aus, mit seiner kleinen Empore und dem Holzgeländer, dem rötlichen Anstrich, der vergleichsweise kleinen Bühne. Häufig ist der Raum prall gefüllt, ob bei Noise­konzerten, Soulpartys, politischen Diskussionen oder zur Kür der „50 schönsten Rapper Berlins“. Viele denkwürdige Indiekonzerte finden hier statt: Melvins, Mutter, Peaches, Superpunk, DAF, SunnO))), J Mascis, Stereo Total.

Nach dem Brand entsteht ein Vakuum – am Kottbusser Tor und in der Berliner Clublandschaft. Die Betreiber wollen eigentlich an alter Stelle neu eröffnen, nach Sanierung des Gebäudes, das die Flammen knapp überlebt hat. Sie starten ein erfolgreiches Crowdfunding, bezahlen davon Architekten, die den Wiederaufbau planen. Doch 2014 platzt der Deal mit dem Vermieter. Es beginnt die Suche nach einem neuen Standort.

Zwei Jahre darauf muss das von Prenzlauer Berg auf das Arena-Gelände umgezogene White Trash Insolvenz anmelden. Neue Mieter werden gesucht. Am Ende bekommen von Swieykowski und Co den Zuschlag für die Räume am Flutgraben. „Uns war nicht klar, ob wir noch mal die Energie aufbringen können, einen Club neu aufzubauen“, sagt er heute. Aber es gelingt. Anfang 2017 feiern sie Wiedereröffnung. An einem viel größeren Ort, mit nicht ganz so gemütlicher Anmutung und großem Außengelände.

Mittlerweile ist von Swieykowski am Flutgraben angekommen. Er sitzt im weiträumigen begrünten Biergarten des Festsaals, vor sich eine Schorle. Unter einem Pavillon baumelt eine Discokugel. Aus dem Subkulturclub ist ein mittelständisches Unternehmen mit rund 90 Mit­ar­bei­te­r*in­nen geworden. Seit der Neueröffnung finden auch größere, mehrtägige Events im Festsaal statt, NGOs mieten den Saal, kürzlich lud die taz-Genossenschaft hier zur Hauptversammlung. „Gestern hat der Bundesverband Neue Energiewirtschaft bei uns sein Sommerfest veranstaltet“, erzählt von Swieykowski, „der Gastredner war Robert Habeck.“

Ein politischer Ort ist der Festsaal Kreuzberg seit jeher. Auch im Nahostkonflikt, der die Berliner Clubszene entzweit, haben sich die Betreiber positioniert. Von Swieykowski sagt: „Wir möchten nicht, dass bei uns BDS-Propaganda stattfindet. Genauso soll es keinen wie auch immer gearteten positiven Bezug auf den 7. Oktober oder eine Verharmlosung des Massakers bei uns geben.“

Kurz nach dem 7. Oktober veröffentlichten sie ein israelsolidarisches Statement, auch deshalb, weil die Rapperin Nura (SXTN) kurz darauf bei ihnen auftreten sollte. Die hatte unmittelbar nach dem Hamas-Massaker auf Instagram ein Foto gepostet, auf dem sie vor einem Banner mit der Aufschrift „Free Palestine“ posiert. Man suchte das Gespräch mit ihrem Booker und dem Veranstalter, machte deutlich, was im Club geht und was nicht. Das Konzert fand statt. Abgesagt hat der Festsaal hingegen 2018 ein Konzert des jamaikanischen Dancehall-Musikers Bounty Killer, der in seinen Songtexten übel gegen Homosexuelle gehetzt hatte.

„Bei uns soll es keinen positiven Bezug auf den 7. Oktober geben“

Björn von Swieykowski, Betreiber und Mitgründer

„Das haben wir einfach falsch eingeschätzt, als wir ihn gebucht haben“, sagt von Swieykowski. Es gebe „rote Linien“, Homophobie zähle natürlich dazu.

Der Club hat in zwei Dekaden vergleichsweise viel durchgemacht, neben allem eine Pandemie überstanden, auch dank staatlicher Überbrückungshilfen. Von Swieykowski und Christopher Schaper sind für den Festsaal heute zu zweit als Geschäftsführer zuständig, betreiben zusätzlich das BiNuu am Schlesischen Tor. Den Wandel des Clubs sehen die insgesamt fünf Gesellschafter als natürlichen Prozess: „Wir haben uns weiterentwickelt. Wir verwalten nicht nur einen Indieclub, den mittelalte und alte Leute besuchen, wir bewegen uns nicht in den immergleichen Nischen, sondern sprechen auch junge Szenen an, probieren neue Formate“, sagt von Swieykowski.

An der Skalitzer befindet sich heute wieder ein reiner Hochzeitssaal, „Queens Palace“ heißt er, von den Festsaal-Vibes ist nicht viel geblieben. Im nördlichsten Zipfel von Treptow-Köpenick strahlt dafür ein neuer Ort. Nicht ganz so cosy, aber mit Inhalten glänzend. Nirgendwo, denkt man sich, ist Alt-Treptow so sehr Kreuzberg wie hier.

20 Jahre Festsaal Kreuzberg, 4. und 5. Oktober, jeweils 20 Uhr, Am Flutgraben 2, mit Fuffifufzich, Brezel Göring & Psychoanalyse, Erregung Öffentlicher Erregung, Grim104 u. a.

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