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Von der Leyen will Abschiebezentren an Außengrenzen

Vor dem EU-Gipfel scheint in der Migrationspolitik alles möglich. Rechtspopulistin Meloni und ihre Lager in Nicht-EU-Staaten sind eine Vorlage für eine härtere Abschiebepolitik

Auf dem Weg zum Lager: Ein italienisches Marineschiff bringt die ersten Migranten nach Albanien Foto: Vlasov Sulaj/ap

Aus Brüssel Eric Bonse

Die Festung Europa nimmt Gestalt an: Kurz vor dem EU-Gipfel, der am Donnerstag in Brüssel beginnt, purzeln die letzten Tabus in der europäischen Asyl- und Migrationspolitik.

Aufnahmelager außerhalb der EU, mehr und schnellere Rückführungen, neue Deals mit autokratisch regierten Herkunftsländern und sogar Abschiebungen nach Syrien: Plötzlich scheint alles möglich. Europas Spitzenpolitiker machen sich Ideen und Forderungen zu eigen, die bisher nur bei Rechtspopulisten und EU-Gegnern en vogue waren.

Dabei ist die Migration nur eines von vielen Gipfelthemen. Obenan steht erneut der Krieg in der Ukraine. Gipfelchef Charles Michel hat Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Brüssel geladen, der seinen „Siegesplan“ vorstellen soll. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU wollen auch über die Eskalation im Nahen Osten und über die europäische Wettbewerbsfähigkeit sprechen.

Doch nichts wird derzeit so heiß diskutiert wie die Flüchtlingspolitik. Das liegt nicht nur an Deutschland, das Kontrollen an allen Landesgrenzen eingeführt hat und damit kräftig am Schengen-System der Reisefreiheit rüttelt. Es liegt auch an Ungarn, den Niederlanden und Polen, die das Asylrecht aussetzen wollen – und an Italien, das gerade ein Lager in Albanien eröffnet hat. Die rechtslastige Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte bereits 2023 einen Deal mit Albanien ausgehandelt. Demnach soll die Bearbeitung von Asylanträgen künftig in Albanien erledigt werden. Die Zentren werden nach italienischem Recht und mit italienischem Personal betrieben.

Das erste Lager liegt auf einem ehemaligen Militärstützpunkt im rund 20 Kilometer vom Hafen Shengjin entfernten Ort Gjader. Am Mittwoch kamen die ersten Migranten – 16 Männer aus Bangladesch und Ägypten – in Shengjin an. Ein fragwürdiges Experiment.

Menschenrechtler sprechen von einem „italienischen Guantánamo“. Juristen verweisen auf Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die Asylverfahren außerhalb der EU eigentlich nicht zulassen. Doch nun könnte das umstrittene „Modell“ Schule machen. Italien und Ungarn haben vorgeschlagen, es auf die gesamte EU auszuweiten und weitere „Return-Hubs“ zu bauen, zum Beispiel in Afrika.

Beim letzten Treffen der EU-Innenminister nahm die Debatte Fahrt auf. Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) hatte zwar Vorbehalte, doch sie sagte nicht Nein. Für solche Pläne werde ein Partnerstaat benötigt, sagt Faeser. Das halte sie für den „schwierigsten Punkt“. Man solle sich daher auf strengere Abschieberegeln konzentrieren.

Nun hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) geliefert. Sie kündigte einen Gesetzentwurf zur schnelleren Abschiebung von Migranten an. Von der Leyen sprach sich außerdem für Abschiebezentren außerhalb der EU „als möglichen Weg vorwärts“ aus. Als Beispiel nannte sie ausdrücklich das neue Lager in Albanien. Es gehe darum, „mögliche Wege für die Entwicklung von Rückführungszentren außerhalb der EU zu erkunden“, schrieb von der Leyen in einem Brief an die EU-Staaten. Faeser begrüßte den heiklen Vorstoß aus Brüssel. Doch sie will sich damit offenbar nicht zufriedengeben: Die Bundesregierung macht weiter Druck.

Seit Deutschland begonnen hat, unerwünschte Migranten nach Afghanistan abzuschieben, ist auch Syrien wieder ein Thema

Neben der „externen Dimension“ müsse auch die interne Umsetzung der EU-Regeln verbessert werden, heißt es in Berlin. Beim EU-Gipfel will Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb auf die Umsetzung der Dublin-Verordnung pochen. Das Ziel: Die nach „Dublin“ zuständigen Ankunftsländer sollen künftig mehr Asylverfahren durchführen und auch verstärkt Asylbewerber aus Deutschland zurücknehmen.

Gemeint sind vor allem Griechenland und Italien – doch diese Länder sträuben sich. Auf dem Gipfeltreffen könnte es deshalb Ärger geben. Streit droht auch über die Frage, ob abgelehnte Asylbewerber künftig wieder nach Syrien deportiert werden dürfen. Bisher galt dies wegen des Bürgerkriegs als undenkbar. Doch seit Deutschland begonnen hat, unerwünschte Migranten nach Afghanistan abzuschieben, ist auch Syrien wieder ein Thema.

Diktator Baschar al-Assad wirkt plötzlich irgendwie sympathisch – genau wie Tunesiens autokratischer Präsident Kais Saied. Mit ihm hatten von der Leyen und Meloni schon 2023 ein Migrationsabkommen abgeschlossen. Dass in Tunesien Menschenrechte verletzt und Flüchtlinge in die Wüste geschickt werden, konnte den Deal nicht verhindern – im Gegenteil: Ihm sollen noch weitere Drittstaatenabkommen folgen.

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