Queertauchen erwünscht

Im Norden feiern diverse Festivals queere Filme: Dass es infolge des Zusammenschlusses in der Kooperative Queerscope zu Überschneidungen kommt, schadet den Profilen nicht

In ihrem Film-Debüt „Lesvia“ findet Tzeli Hadjidimitriou Bilder von zärtlicher Schönheit Foto: Anemon Productions/HIQFF

Von Wilfried Hippen

Am Dienstag beginnt in Norddeutschland die Saison der Queerfilmfestivals. Bis in den November hinein werden in Hamburg, Hannover, Bremen, Bremerhaven und Oldenburg Filme für ein queeres Publikum gezeigt. Ein Grund für diese Häufung besteht darin, dass sich inzwischen 24 unabhängige Filmfestivals in Deutschland zur Kooperative „queerscope“ zusammengetan haben. So können sie gemeinsam Filme bestellen und Gäste einladen. Das stärkt die Verhandlungsposition und reduziert die Ausgaben für die einzelnen Festivals.

Der eigenen Profilbildung schadet das nicht: Vor allem in Hamburg wird eine ganze Reihe Publikumsawards in unterschiedlichsten Kategorien verliehen und zum Abschluss „Lesvia“ gezeigt, für den die griechische Regisseurin Tzeli Hadjidimitriou den Queerscope-Debütfilmpreis erhält. Gleichzeitig führt das dazu, dass einige Filme des Hamburg International Queer Film Festivals auch anderswo laufen, wie „Asog“, der Eröffnungsfilm.

Der wird gut 14 Tage nach der heutigen Deutschland-Premiere auf Kampnagel im November auch in Hannover gezeigt. Der Spielfilm aus den Philippinen belegt eindrucksvoll, dass auf diesen Festivals Diversität gleich auf mehreren Ebenen gepflegt wird.

Denn Jaya, der*­die die Geschichte aus der eigenen Perspektive erzählt, ist zwar eine non-binäre Drag-Queen, aber dies wird als selbstverständlich vorausgesetzt und ist nicht etwa das Hauptthema des Films. Gedreht wurde auf verschiedenen philippinischen Inseln, die der Taifun Yolanda im Jahr 2013 verwüstet hat. Alle Dar­stel­le­r*in­nen leben auf diesen Inseln und spielen sich selbst – so auch Ray Jaya Aclao mit einer mitreißenden Energie und Intensität in der Hauptrolle.

An der Oberfläche ist „Asog“ ein Roadmovie, in dem Jaya sich auf eine Reise zu einer Insel macht, um dort am „Miss-Pageant-Contest“ teilzunehmen. Doch diese Spielfilmhandlung ist nur der Rahmen für eine Mischung aus Fiktion und Realität, in dem diese Lebenswelt im Mittelpunkt steht, die durch eine Naturkatastrophe extrem geschädigt wurde.

Da stehen Dokumentaraufnahmen von der extremen Zerstörung auf den Inseln neben Animationssequenzen, in denen etwa ein riesiger Frosch einen Security Guard verschluckt. Dieser bewacht eine Hotelanlage, die auf der Insel Sicogon auf Land erbaut wurde, das den indigenen Inselbewohnern nach der Katastrophe weggenommen wurde. Diese wurde direkt nach dem Sturm und der Flutwelle von einem australischen Konzern mit Hilfsgütern versorgt, sollten aber dafür Verträge unterschreiben, in denen sie ihr Land abtraten.

Im Film kommen die Menschen zu Wort, die auf der Insel blieben und sich bis heute gegen diese Landvertreibung wehren. Der kanadische Filmemacher und Komiker Sean Devlin erzählt diese Geschichten von der Klimakatastrophe, einem Aufstand von Geschädigten gegen einen mächtigen internationalen Konzern und der Homophobie in einer konservativen Gesellschaft in einem flirrend wilden Stil, der all diese Elemente mitreißend, originell und oft sehr komisch unter einen Hut bringt.

Der mit viel Einfühlungsvermögen inszenierte finnische Film „Licht, Licht, Licht“ beweist einmal mehr, dass die besten Liebesgeschichten traurig sind

Eine andere Umweltkatastrophe verleiht dem finnischen Spielfilm „Valoa, Valoa, Valoa“, der auch in Bremerhaven und Oldenburg zu sehen ist, eine unheilvolle Grundstimmung. Denn hier wird zwar eine Sommergeschichte von der Liebe zwischen zwei Schülerinnen in einem finnischen Dorf erzählt, aber diese entwickelt sich in den Tagen nach Tschernobyl. Und die radioaktiven Wolken vergiften auch die Beziehungen zwischen den Menschen. „Licht, Licht, Licht“ (so die Übersetzung des kryptischen Titels) ist sowohl ein Coming-Of-Age-Movie als auch ein Coming-Out-Film, und beide Genres sind in der Regel optimistisch. Doch die Filmemacherin Inari Niemi erzählt hier von einer unmöglichen Liebe. Nicht etwa, weil eine lesbische Liebe in der finnischen Provinz in den 1980er-Jahren nicht toleriert wurde, sondern weil eine der Liebenden nicht weiterleben konnte und wollte. Der mit viel Einfühlungsvermögen inszenierte Film beweist einmal mehr, dass die besten Liebesgeschichten traurig sind.

„Baldiga – Entsichertes Herz“, ist das Porträt von Jürgen Baldiga. In den 1980er-Jahren wurde der Multikünstler für seine provokanten Auftritte in der schwulen Subkultur von Berlin gefeiert. Nach dem Ausbruch seiner Aids-Erkrankung dokumentierte er sein Leben mit Fotografien und Tagebuchnotizen. Da er ein extremer Selbstdarsteller war, gibt es eine Fülle von Bildern, Videoaufnahmen und Texten von ihm, die Regisseur Markus Stein durch Interviews mit Zeitzeugen aus der damaligen queeren Szene von Berlin ergänzte.

So authentisch und radikal wie hier wurde selten von der verheerenden Wirkung von Aids erzählt, denn für Baldiga waren weder Krankheitsbilder, Sexualpraktiken und Körperausscheidungen noch die verzweifelten Texte über Angst und Schmerzen ein Tabu. Die erste Einstellung von „Asog“ ist eine Triggerwarnung. Aber die ist bei „Baldiga – Entsichertes Herz“ viel nötiger.