Maurice Conrad
Änder Studies
: Durch Tiktok mache ich anders Musik. Eigentlich schreibe ich keinen Song, sondern ein Medienkonzept mit einem Song

Wie wird man gehört? Also, so richtig? Spotify-Zahlen, Instagram-Follower und Tiktok-Views sind mittlerweile die zentrale Metrik in der Musikindustrie. Du musst Tiktok machen, wenn du Musik machen willst, sagen sie. Sonst nimmt dich niemand ernst.

Ich will Musik machen. Deshalb versuche ich es mit Tiktok. Und ich merke, dass das etwas mit mir macht. Wenn es gut läuft, bin ich im Dopaminrausch. Aber so schnell wie das Video auf Tiktok viral geht, gehen die Streaming-Zahlen auch wieder nach unten. Und mein High auch.

Ich merke, wie das mein Leben beeinflusst. Wie es meine Stimmung kontrolliert. Manchmal verbringe ich Stunden damit, Metriken auf diesen Plattformen auszurechnen, Schlüsse zu ziehen. Ständig lade ich Statistiken neu, um am Ende – ja, was eigentlich zu tun? Nichts.

Ich mache deshalb nicht mehr oder bessere Musik. Wenn es gut läuft, wird man angefragt für Konzerte und allerhand Blödsinn wie Werbedeals. Wenn nicht, ist man alleine mit den Erwartungen und der Selbstkritik. Ist das, was ich tue, relevant? Will das jemand sehen? Manchmal habe ich Angst, etwas zu teilen, weil es schlecht ankommen könnte. Oft poste ich etwas und lösche dann erst mal die App.

Und dann sehe ich andere, denen es scheinbar leichter fällt. Da wäre Yu. Er macht nicht nur großartige Musik, sondern postet auch mehrmals am Tag. Und das, von außen betrachtet, mit Leichtigkeit, aus dem Affekt heraus. Ich hingegen muss mich zwingen und hinterfrage meine Posts. Habe ich nicht genug Commitment? Hab ich es nicht verdient, gehört zu werden?

Tiktok verändert die Art, wie ich Musik mache. Wenn ich einen Song schreibe, denke ich: Kann ich diesen Teil in Content übersetzen? Musik wird schon beim Entstehen auf das mögliche Engagement im Tiktok-Algorithmus optimiert. Ich überlege mir, wie die Videos aussehen könnten, die ich dazu drehe. Ich frage mich, ob der Song schnell genug interessant wird, damit er nicht weggeklickt wird. Eigentlich entwerfe ich keinen Song, der für sich steht, sondern ein Medienkonzept mit einem Song.

Ich weiß nicht mal, ob ich das schlimm finde. Ich will keinen auf „früher war alles besser“ machen. Noch nie war es so einfach, Musik zu produzieren und zu promoten. In gewisser Weise ist die heutige Musikindustrie so unabhängig wie nie zuvor. Man kann ohne Major-Label, ohne viel Geld sehr erfolgreich sein. Gleichzeitig sind Mu­si­ke­r*in­nen heute noch abhängiger von großen Unternehmen. Wer Mu­si­ker*in werden will, muss eigentlich In­flu­en­cer*in werden.

Es ist das Paradox des Internetkapitalismus, der einerseits alles dezentralisiert und Macht vermeintlich demokratisiert, aber im selben Atemzug neue Monopole und Abhängigkeiten schafft, die oft undurchsichtiger sind als das, was zuvor herrschte. Was, wenn Tiktok plötzlich deinen Account sperrt? Oder plötzlich nicht mehr so funktioniert wie erwartet? Oder wenn das, was du tust, zwar genial ist, aber nicht der Logik aus Engagement und Interaktion im Feed entspricht?

Wer Mu­si­ke­r*in werden will, muss eigentlich In­flu­en­ce­r*in werden

Aktuell erreiche ich mehr Menschen als je zuvor mit meiner Musik. Von außen sieht wahrscheinlich alles rosig aus. Aber in mir drin kurvt eine Achterbahn. Dagegen spaziere ich mittlerweile ein, zwei Stunden am Tag an.

Wie muss es erst Menschen gehen, die wirklich nur Künst­le­r*in­nen sind, deren Leben noch mehr von Algorithmen abhängt? Man kann ja nicht den ganzen Tag durch die Gegend laufen, oder?

Maurice Conrad, 23, ist Klimaaktivist*in, Rap­pe­r*in und Software Engineer.