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: Nach rechts offen

Die Zustimmung für die Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen in Deutschland nimmt ab. Doch das macht die Bewegung nicht weniger gefährlich

Jedes Jahr im September protestieren Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen weltweit beim „Marsch für das Leben“. Doch die Veranstaltungen der deutschen „Lebensschutzbewegung“ verlieren Teilnehmende, wie bei ihrer diesjährigen Demonstration in Berlin zu sehen war. Aus dem Schweigemarsch, der mit Holzkreuzen Trauer über die „ungeborenen Kinder“ ausdrücken sollte, wollte der veranstaltende „Bundesverband Lebensrecht“ (BVL) eine Demonstration für die Freude am Leben machen. Aber Jugendliche in die erste Reihe zu stellen und Popmusik zu spielen, reicht dafür nicht aus. Dass die Bewegung an Zuspruch verliert, macht sie jedoch nicht harmloser. Stattdessen nähert man sich dem rechts­extremen Milieu an.

Der Bundesverband, der die Märsche sorgfältig orchestriert, die Parolen ausgibt und sehr darauf achtet, ob selbst gemalte Schilder zur politischen Linie passen, hatte lange darauf bestanden, überkonfessionell und politisch unparteiisch zu sein. Jahr um Jahr betonten die Veranstaltenden, dass sie nicht verhindern könnten, dass extreme Rechte wie Burschenschaftler, Nazis, Identitäre und AfDler an den Märschen teilnähmen. Stattdessen distanzieren sie sich lediglich von ihren Inhalten und bemühten sich um die Unterstützung der Amtskirchen, die sich sehr deutlich von der AfD abgrenzen.

In diesem Jahr schien das alles keine Rolle mehr zu spielen. Zwar liefen wieder einige Bischöfe mit und der Botschafter des Vatikans schickte ein Grußwort. Die Bewegung scheint darüber hinaus keine Anstrengungen unternommen zu haben, die für die Bewegung eigentlich wichtige Unterstützungserklärungen hochrangiger Kirchenvertreter zu organisieren.

Stattdessen lief Beatrix von Storch, die stellvertretende Vorsitzende der AfD im Bundestag, ganz vorne mit. In einer Pressemitteilung vor dem Marsch beschuldigte von Storch die Regierung, „den Lebensschutz verfassungswidrig auszuhebeln“ und eine „Quasi-Aufforderung“ auszusprechen, „ungeborenes Leben zu töten“. In den ersten Reihen der Demonstration hatte man sie seit 2015 nicht mehr gesehen. Von Storch hatte in den Jahren danach zwar häufig an der Auftaktkundgebung teilgenommen, demonstrierte aber nicht vorne mit. Das war vermutlich dem Bestreben der Bewegung geschuldet, als gemäßigt und bürgerlich-konservativ zu gelten.

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Kirsten Achtelik ist freie Journalist*in, Diplom-Sozial-wissenschaft-ler*in und Autor*in aus Berlin. Achtelik verfasst Bücher über Abtreibung, Pränatal­diagnostik, Selbstbestimmung sowie die „Lebens-schutz“-Bewegung und beschäftigt sich mit feministischer Theorie.

Mit Pablo Munoz Iturrieta sprach in Berlin als erster Redner ein „Kulturkämpfer“, der verkündete, man sei die schweigende Mehrheit, die „den Kampf gegen die Kultur des Todes“ gewinne. Die Bewegung hätte erreicht, dass Abbrüche in Deutschland illegal seien. Nächstes Jahr würde eine Million Abtreibungsgegner durch Berlin ziehen. Das könnte fast ein bisschen lächerlich sein, angesichts der abnehmenden Teilnehmendenzahlen, wäre der Kulturkampf gegen die „Kultur des Todes“ nicht eine Chiffre für ein autoritäres, fundamentalistisches Weltbild. Die Geg­ne­r*in­nen werden als Anhänger einer „Kultur des Todes“ gebrandmarkt, die nicht Gott, sondern dem Teufel folgen. So werden alle als Böse abstempelt, die ihr Leben nicht von einem 2.000 Jahre alten Buch bestimmen lassen wollen, die Sex nicht nur zur Reproduktion haben, Linksliberale, Feminist*innen, Antifa, trans Menschen, Lesben, oder wie Iturrietta in einem auf Youtube zu findenden Vortrag etwas freizügiger formuliert: „Perverse“.

Die dem entgegengesetzte „Kultur des Lebens“ ist, trotz des Namens, nicht menschenfreundlich, sondern meint, sein Leben in die Hand Gottes zu legen. In den USA sind bereits mindestens zwei Frauen an den Folgen der in einigen Bundesstaaten seit dem Fall von Roe vs Wade geltenden restriktiven Abtreibungsgesetze gestorben, da ihnen nicht schnell genug geholfen wurde. Und auch im Nachbarland Polen sterben jedes Jahr mehrere Frauen, denen ein Abbruch verweigert wird. Dabei erlaubt Polens extrem restriktives Abtreibungsgesetz Abbrüche sogar, wenn das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist. Ärz­t*in­nen befürchten in dem aufgeheizten Klima berechtigterweise Strafverfolgung und verweigern Hilfe. Erst im Juli hatte das Parlament mit knapper Mehrheit gegen eine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes gestimmt.

Die Auftaktrede von Iturrieta beim Berliner Marsch hat erneut gezeigt, wie wichtig eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wäre. Idealerweise würde noch in dieser Legislaturperiode der Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Die von der Regierung eingesetzte Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on hat die rechtlichen Grundlagen dafür gelegt. Aber das wird wohl nicht passieren, nicht nur, weil die FDP bremst, sondern auch, weil sowohl die SPD wie die Grünen dieses anspruchsvolle Projekt nicht mehr ein Jahr vor der Bundestagswahl angehen wollen. Dieses Zeitproblem war jedoch bereits offensichtlich, als die Kommission eingesetzt wurde, daher liegt die Vermutung nahe, dass die selbsternannte Fortschrittskoalition nie vorhatte, das Problem tatsächlich zu lösen, sondern mit der Kommission eine Hinhaltetaktik fuhr, die sie fortschrittlich aussehen lässt.

Ein Lichtblick ist, dass das Verbot von Gehsteigbelästigungen durch Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen vor Beratungsstellen und Arztpraxen voranschreitet. Der Bundesrat hat es Ende September verabschiedet, sodass es bis zum Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr lange dauern kann.

Die von den Ab­trei­bungs­gegne­r*in­nen propagierte „Kultur des Lebens“ ist nicht menschenfreundlich

Nichtsdestotrotz will die Kampagne „Abtreibung legalisieren – jetzt!“ aktuell noch mal Druck aufbauen, um die Gelegenheit einer halbwegs linken Koalition nicht ungenutzt vergehen zu lassen. Das Bündnis aus feministischen und gesundheitspolitischen Initiativen ruft dazu auf, Abgeordneten und dem Bundeskanzler zu schreiben. Außerdem soll es Anfang Dezember Demonstrationen in Berlin und Karlsruhe geben.