ausgebremst
: Showdown für die Elterntaxis in Hamburg

Er ist ganz geräuschlos über die Bühne gegangen: der fraktionsübergreifende Antrag von Grün-Rot. Titel: „Sichere Schulwege für unsere Kinder“. Wer würde da schon gegen stimmen wollen, und tatsächlich wurde der Antrag einstimmig verabschiedet. Nur die AfD enthielt sich, vielleicht war ihr „unsere Kinder“ ein zu weit gefasster Begriff. Tatsächlich ist der Antrag spektakulärer als der Feelgood-Titel vermuten lässt: Künftig sollen Schulen, die besonders unter Elterntaxis leiden, die Möglichkeit haben, Schulstraßen einzurichten. In denen ist der Autoverkehr zu den Hol- und Bringzeiten der Kinder verboten.

Elterntaxis sind die Autos der Eltern, die ihre Kinder zur Schule fahren. Der Kampf gegen sie galt bereits als verloren. Die Schulen selbst ­hatten wenig Mittel zur Verfügung: Zu Schuljahresbeginn standen gelegentlich Ver­kehrs­po­li­zis­t:in­nen vor den Schulen und schickten die anfahrende Elternschaft wieder davon; wenn man den Zeitungsberichten glaubt, waren die Reaktionen, milde formuliert, unfroh. Bemerkenswert ist, dass viele Elterntaxis ­direkt vor den Halteverbotsschildern halten und ebenfalls bemerkenswert ist, dass sie wieder da sind, kaum dass der letzte Polizist sich umgedreht hat.

Manche Schulen betreiben dann Umweltbildung mit kleinen Heften, in denen die Kinder eintragen, wenn sie zu Fuß in die Schule gekommen sind. Das ist ohnehin mehr als ­naheliegend, schließlich gilt in Hamburg das Prinzip der wohnortnahen Grundschule. ­Soweit die Theorie.

In der Praxis erreicht das Thema nahezu das Polarisierungspotenzial von SUVs, es hat ähnlichen Symbolwert und dann geht es auch noch um Kinder: alles drin also. Das Standardargument der Taxi-Eltern ist, dass es ihnen darum ginge, dass ihre Kinder sicher die Schule erreichen. Das verbindet sie mit dem Sicherheitsbedürfnis der SUV-Fahrer:innen, ebenso wie die Gefahr, die sie ohne Not für alle anderen sind. Gut möglich, dass der Streit nicht die Hitzigkeit der US-Debatte um das Recht auf die eigene Waffe erreicht, ans Eingemachte geht es im Au­to­fah­re­r:in­nen­land Deutschland aber ­allemal. Und zwar durch alle Schichten: Vor den Schulen sind alle Autoklassen zu sehen, vom SUV über den tiefer gelegten Mercedes bis zum VW-Kombi.

Dass nun die Hamburger Behörden in die Lage versetzt werden, den Schulweg tatsächlich sicherer für alle zu machen, ist großartig – auch wenn es zeigt, dass mit Einsicht und Freiwilligkeit kein größerer Blumentopf zu gewinnen war. Nebenbei zeigt es, dass der Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) die Ausdauer und das Geschick hat, dicke Bretter zu bohren – in einer Zeit, in der die Nerven bei Themen, die irgendwie nach Ökobevormundung riechen, blank, sehr blank liegen. Und in einer Stadt, in der die Polizei, insofern sie mit Verkehrsfragen befasst ist, lange dem Autoverkehr Vorrang gegeben hat.

Elterntaxis haben ein Polarisierungspotenzial ähnlich dem von SUVs – schließlich geht es um Kinder!

Die Schulstraßen werden nicht alle verkehrspolitischen Fragen lösen. Aber sie sind ein Anfang in mehrfacher Hinsicht: weil sie ganz praktisch den Schulweg für eine Menge Kinder und diejenigen, die sie begleiten, verändern. Es macht einen Unterschied, ob man fluchend versucht, eine unübersichtliche Masse stehender und anfahrender Autos mit einem Kind im Schlepptau zu durchqueren oder ob man gelassen einfach zur Schultür geht. Es macht einen Unterschied, wenn Kinder erfahren, und zwar jeden Tag neu, dass es Orte gibt, an denen Autos nicht die erste Geige spielen.

In Paris werden Schulstraßen komplett verkehrsberuhigt und Menschen, die sie gesehen haben, schwärmen von Grünflächen und Plätzen, an denen sich die Anwohnerschaft trifft. Aber man muss ja nicht gleich nach den Sternen greifen. Erst einmal kommen in Hamburg die Mühen der Niederungen. Die Frage, wie viele Anträge überhaupt gestellt werden – und wie viele von der letztlich entscheidenden Innenbehörde genehmigt werden. Aber ein Anfang ist ein Anfang. Friederike Gräff