berliner szenen
: Mal fiepend, mal brummend

Es ist eisig. Trotzdem sitze ich draußen in Charlottenburg und trinke meinen Kaffee. „Ich meine, nehmen wir Österreich, ein Drittel dort wählt Nazis“, sagt eine Frau am Nebentisch zu ihrer Freundin. Gerade noch saß ich bei meinem Therapeuten in der Wärme, ganz warm war mir auch ums Herz. Die Stunden bei ihm neigen sich dem Ende. Weil es mir im Grunde gut geht.

„Da kann einem doch Angst und Bange werden“, schließt die Frau am Nebentisch und ich frage mich, warum ich innerlich ruhig bleibe. Knapp eine Woche ist es her, dass eine große Zahl der wahlberechtigten Ös­ter­rei­che­r*in­nen einen Rechtsextremen als „Volkskanzler“ gewählt hat. Meine Stimme für eine Kleinstpartei scheint nicht gut platziert gewesen zu sein. Ich hätte strategisch wählen sollen, sagte ich letzthin zu A. Absurd, dass man heute entgegen seiner Überzeugung wählen muss, um größeres Übel zu verhindern.

Dinge, die ich mir nie vorstellen konnte, passieren gerade; positiv im Privaten, negativ im Gesellschaftlichen. Diese Dissonanz nehme ich als nicht abklingen wollenden Ton wahr, mal fiepend, mal brummend.

„Wohin wandern wir aus?“, fragt die Freundin der Frau am Nebentisch. Noch vor Kurzem hätte ich gewusst, wie ich diese Frage beantworte: Nach Österreich, in eine Hütte, die meinen Großeltern der Zufluchtsort gewesen ist, wenn die Stadt ihnen zu viel wurde. Vielleicht auch, wenn die Erinnerungen an eine Kriegskindheit überhand nahmen. Für mich war die Hütte Zufluchtsort während der Pandemie. Doch wird sie es auch noch sein, wenn ein „Volkskanzler“ regiert?

„Vielleicht nach Kanada“, beantwortet die eine die Frage der anderen.

„Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“, mir kommen Thomas Braschs Worte in den Sinn und ich spüre jetzt auch den Anflug von Unruhe. Sophia Zessnik