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Klimablues:
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Fortschritt

Die Klimakrise eskaliert, aber Klimapolitik ist unbeliebt. Dabei könnte sie bei der Bundestagswahl zum Gewinnerthema werden

Illustration: Katja Gendikova

Von Bernhard Pötter

Es ist absurd: Die Klimakrise ist so sichtbar und fühlbar wie noch nie. Trotzdem dominieren Ignoranz und Ablehnung gegen Klimapolitik. Österreich säuft ab, wählt aber die FPÖ, die das Hochwasser als Hysterie abtut. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen klagen Bauern und Hausbesitzer über Dürren, Stark­regen und Fluten, wählen aber die Grünen aus den Regierungsbeteiligungen heraus, wo sie als Einzige das Thema vorangetrieben haben.

Wie sehr sich der Wind zum Sturm entwickelt und gleichzeitig gedreht hat, merken „Fridays for Future“. Noch vor ein paar Jahren beschwerten sich die AktivistInnen, man habe ja „nichts erreicht“. Heute wäre die Klimabewegung gern so „machtlos“ wie damals – als sie die politische Debatte prägte, Wahlen dominierte und ein schärferes Klimaschutzgesetz erzwang. Fünf Jahre später ist die Klimapolitik in Deutschland unter die Räder von Corona, Ukrainekrieg, Inflationsangst und populistischer „Migrationspolitik“ geraten.

Die Klimakrise ist nicht weg. Wenn aber niemand über sie spricht, kann sie nicht eines der entscheidenden Themen der nächsten Bundestagswahl werden. Das muss sie aber, wenn wir noch eine kleine Chance haben wollen, die Weichen zur gesetzlich geforderten Klimaneutralität 2045 zu stellen. Das ist kein Selbstläufer, aber machbar. Denn die Debatten rund um die Erderhitzung werden mit Macht zurückkommen und die Politik dominieren. Wenn es die Klima­bewegten geschickt anstellen, kann das Klimathema im Wahlkampf und danach zum Gewinnerthema werden.

Steile These? Vieles spricht dafür: Die Physik, denn Klimaextreme werden immer häufiger und härter; der rasante Siegeszug der Erneuerbaren, der wirtschaftliche Eigennutz, wenn Unternehmen von der Regierung einen klaren Kurs Richtung Dekarbonisierung fordern. Und schließlich die Sehnsucht nach guten Nachrichten und praktikablen Lösungen, wie das klimaneutrale Deutschland die nächste große wirtschaftliche, politische und soziale Erfolgsgeschichte werden kann. Und muss.

Schwer genug. Denn derzeit kommt das apokalyptische Geschrei ja nicht von den Klimaschützern, die dafür wirklich Grund haben. Nein, der Weltuntergang wird von den Populisten von AfD bis BSW und Teilen der Union für ein Land beschworen, in dem so viele Menschen wie noch nie sicher, gesund und wohlhabend leben. Während KlimaschützerInnen pragmatisch und wissenschaftlich argumentieren, fantasieren Politiker wie Friedrich Merz ideologisch vom angeblichen „Kontrollverlust“ an den deutschen Grenzen – während sie den tatsächlichen Kontrollverlust über Hochwasser und Waldbrände achselzuckend ignorieren.

Es bietet sich ein Weg an, in dieser Extremwetterlage voller Stimmungstiefs und Populistenhochs Lust und Hoffnung auf eine effiziente Klimapolitik zu machen: mit einer neuen Interpretation des Begriffs „Fortschritt“. Nur mit einem ökologisch und sozial fundierten Konzept für ein mutiges „Vorwärts“ in eine bessere Zukunft ist dem schwarzen Loch beizukommen, das gerade jeden zukunftsfähigen Ansatz von Klima­politik verschlingt. Und das einen Namen hat: Angst vor und Unwillen zur Veränderung.

Das nämlich ist die große Bremse und der Grund dafür, dass „Klimapolitik“ bei vielen Menschen inzwischen einen toxischen Klang hat. Wir leben in einem Land, das sich häufig über die „German Angst“ definiert und mit Ausnahme des friedlichen Aufstands gegen die DDR-Führung keine ordentliche Revolution auf die Beine gestellt hat. Da machen die Aussicht auf grundlegenden ökonomischen Wandel, Abschied vom Gewohnten, disruptive Technologien und scharf gestellte Machtfragen eher Angst statt Lust auf etwas Neues.

Dass die Grünen dabei als „Verbotspartei“ wahrgenommen werden, liegt in der Natur der Sache. Tatsächlich können und wollen sie ja kaum etwas verbieten. Aber das andauernde Erinnern und Mahnen an die ökologischen Grenzen führt dazu, dass alle Menschen ahnen oder wissen: Wenn ich das ernst nehme, muss ich mir den fossilen Überkonsum/das regelmäßige Fliegen/das nächste ­dicke Auto selbst versagen – und für diese Frechheit, mich zu einer selbstgewollten Einschränkung meiner Konsumfreiheit zu bringen, mache ich die Ökos verantwortlich.

Wie also ankommen gegen diese Furcht vor Veränderung? Nötig wäre es erst einmal, diesen Unwillen anzuerkennen: Wer in den letzten Jahrzehnten rasante Veränderungen wie den Niedergang der DDR-Industrie erlebt hat, der ist nicht scharf darauf, dass alles sich immer noch mehr wandelt. Umso mehr muss die Idee vom neuen Fortschritt den Menschen Halt und Stabilität anbieten. Und klar machen: Veränderungen kommen auf jeden Fall: In der unruhigen Geopolitik, mit der Digitalisierung, bei der Migration, vor allem auch in der Klimakrise – es kommt darauf an, wie man diese Veränderungen gestaltet. Echter Fortschritt muss den Menschen Mut und Lust auf die Zukunft machen und die Angst-Narrative der Populisten entschärfen.

Dazu gehört eine ehrliche Bilanz. Die Ampel ist zwar nicht die versprochene „Fortschrittskoalition“, hat aber aus Klimasicht erstaunlich viel auf den Weg gebracht: Ausbau der Erneuerbaren, Senkung der Emissionen trotz Versagens im Verkehr, die Weichen für die Dekarbonisierung der Industrie gestellt, die Wärmewende begonnen, natürlichen Klimaschutz angeschoben … alles zu wenig und zu langsam, aber: Es kann vorangehen. Die letzten drei Jahre zeigen aber auch: Katastrophen bringen die Menschen nicht automatisch dazu, Klimaschutz zu wählen. Angst ist kein guter Wahlhelfer. Wut auch nicht. Wer, wie die „Letzte Generation“ Menschen mit blockierten Straßen und Flughäfen nervt, erntet nicht Einsicht und Zustimmung, sondern Empörung und Ablehnung, selbst bei Sympathisanten.

Gezeigt hat sich auch: Bündnis 90/Die Grünen sind die einzige Partei, die bei allen Fehlern und Versäumnissen das Klimathema ernst nimmt und es in Politik umsetzen will. Alle anderen Parteien sind auf diesem Gebiet nicht wahrnehmbar (SPD), stellen „technologieoffene“ Scheinlösungen wie CCS oder synthetische Treibstoffe nach vorn (CDU/CSU und FDP) oder leugnen einfach das Problem. Für die Klimabewegung bleiben die Grünen damit die einzigen verlässlichen Partner im Parlament.

Foto: privat

Bernhard Pötter

berichtet seit etwa 20 Jahren über deutsche und internationale Klimapolitik. Er leitet die Redaktion Climate Table bei Table Briefings, ist Buch­autor und taz-­Kolumnist.

Fortschritt fordert von Grünen, anderen Progressiven und der Klimabewegung allerdings die Bereitschaft, auch mal über den eigenen Schatten zu springen. Nötig sind neue Ideen und Erfindungen. Fortschritt ist im besten Sinn technologieoffen: Das bessere Neue ersetzt das schlechtere Alte. Konkret: Der E-Antrieb vertreibt den Verbrennungsmotor, Jobs und Wertschöpfung verlagern sich. Das muss fortschrittliche Politik gestalten.

Gebraucht sind auch Kompromisse: Zwischen Ausbau der Erneuerbaren und Naturschutz, zwischen Bürgerbeteiligung und Milliardeninvestition von Konzernen. Und echter Fortschritt braucht „Klimagerechtigkeit“, um die Kosten des Wandels viel gerechter zu verteilen: eine Rückzahlung an die Konsumenten (Klimageld nach sozialem Bedarf); höhere Belastungen für Reiche und Unternehmen für Klima-Investitionen, der Abbau umweltschädlicher Subventionen. Konkret: Das Klimageld muss den SUV-Besitzer belasten, um der pendelnden Krankenschwester eine fossilfreie warme Wohnung zu ermöglichen.

Statt abstraktem „Klimaschutz“ gehören die direkten Vorteile aktiver Klimapolitik in den Vordergrund: Wertschöpfung im Land anstelle von hohen Ausgaben für fossile Importe; bessere Luft und Gesundheit, Energiesicherheit statt Abhängigkeit von fossilen Diktaturen, tendenziell niedrigere Energiepreise. Diese „Co-Benefits“ unterstützen heute oft die Klimaforderungen – man könnte das Verhältnis umdrehen: sichere Energie, Wertschöpfung, Jobs – und nebenbei die Emis­sio­nen reduzieren.

Jede Idee, auch der Öko-Fortschritt, begeistert mit Erfolgsgeschichten: Da sind der weltweite Preisverfall bei Erneuerbaren und Batterien, der rasante Aufbau der Erneuerbaren durch das EEG und Wohlstand durch dezentrale grüne Technik. Konkret: die Möglichkeit, mit dem Solarstrom vom eigenen Dach das eigene E-Auto kostenfrei zu tanken. Statt Kulturkämpfen soll die Debatte um Lösungen kreisen: Wer ein Lastenfahrrad ablehnt, soll eine andere Art des CO2-freien Güterverkehrs anbieten.

Das Klimageld muss den SUV-Besitzer belasten, um der pendelnden Kranken­schwester eine fossilfreie warme Wohnung zu ermöglichen

Wer für den Fortschritt argumentiert, sollte auch Gegenstrategien für Fake News und griffige Gegenargumente haben. Konkret: Wenn die Populisten hundertmal sagen: „Wir können uns Klimaschutz nicht leisten!“, heißt die Antwort hundertundeinmal: „Wir können es uns nicht leisten, keinen Klimaschutz zu machen.“ Dann müssen die KlimaschützerInnen dazu die einschlägigen Fakten und Daten gut verständlich parat haben.

Die Erzählung vom Fortschritt, die wir brauchen, richtet sich nicht vor allem an die Klima-Blase und nicht an die WutbürgerInnen. Sondern an die große Mehrheit der Menschen, die laut Umfragen nach Orientierung und positiven Optionen in der Klimakrise suchen. Ihnen können die Klima-Progressiven etwas Wertvolles bieten: eine Idee, eine Hoffnung, eine Gemeinschaft, die dafür arbeiten, dass Aufgeben keine Option ist. Und dass es sich lohnt, gegen jedes Zehntelgrad der Erd­erwärmung zu kämpfen.

Sicher ist: Die nächste grüne Welle kommt. Die Klimabewegung muss alles daransetzen, dass das früh genug passiert und schon bei der nächsten Bundestagswahl zu einem entscheidenden Thema wird. Eine attraktive Erzählung vom neuen Fortschritt ist dabei zentral.