starke gefühle
: hört endlich auf, uns in großbuchstaben anzuschrei(b)en!

Eigentlich haben weder meine Freun­d*in­nen noch meine Kol­le­g*in­nen in der taz mit Donald Trump viel gemein. Doch es gibt eine Marotte, die einige wenige von ihnen mit ihm teilen: SIE LIEBEN ES, IN GROSSBUCHSTABEN ZU KOMMUNIZIEREN! Am besten noch mit einem oder mehreren Ausrufezeichen hinter den Sätzen, die die Dringlichkeit des Anliegens ein weiteres Mal unterstreichen. Es kommen dann Mails wie „BITTE UNBEDINGT LESEN“ oder „HAT SICH ERLEDIGT!!“, manche Freunde immerhin scheinen die Großschreibung zu ironisieren, wenn sie etwa einen Kinobesuch empfehlen: „SEEEHR GEILER FILM“.

Die vermehrte Schreibweise in Versalien ist wahrlich kein neues Phänomen. Schon 2017 begründete der Rat für deutsche Rechtschreibung die Einführung des „ß“ als Großbuchstaben mit einem generellen Trend zur Schreibweise in Großbuchstaben in der Werbung und auch in Büchern. Ein Ärgernis bleibt sie trotzdem. DU MUSST DOCH NICHT GLEICH LAUT WERDEN, will ich zugegebenermaßen oft direkt zurückgeben, wenn mich jemand in Versalien anschrei(b)t.

Doch man kann nicht mal richtig böse sein, denn natürlich leben wir in Zeiten der Großbuchstaben. Egal auf welchen Kanälen, es wird immer schwerer mit etwas (über einen längeren Zeitraum als fünf Minuten) durchzudringen, die völlig veränderte Aufmerksamkeitsökonomie ist ein Grund für die typografische Schreierei. Mit X und Tiktok hat sich ohnehin der „Diskurs“ des Brüllens durchgesetzt. Maximilian Krah (AfD) etwa ist mit Großbuchstaben auf Tiktok vorn dabei, auch Markus Söder (CSU) nutzt gelegentlich Versalien, um mal etwas klarzustellen. Populistische Zeiten, populistische Zeichen.

in linken kreisen dagegen war es ja lange en vogue, alles kleinzuschreiben. nicht umsonst halten sie eine zeitung in der hand, die „wochentaz“ und nicht „Wochen-Taz“ heißt, die tägliche ausgabe verzichtet seit oktober 1982 auf das große „T“ im Titelkopf und heißt seither „die tageszeitung“. im jahr 2004 gab es eine ausgabe ausschließlich mit kleinschreibung als reaktion auf die ankündigung einiger verlage, zur alten rechtschreibung zurückzukehren. schon das progressive bauhaus hat sich übrigens für die kleinschreibung eingesetzt, aus zeitökonomischen gründen: „wir schreiben alles klein, denn wir sparen damit zeit“. gut, dieses argument ist nicht mehr so stark, dürfte einer wie donald trump doch ohnehin die umschalttaste wie ein ständig durchgetretenes gaspedal nutzen. die bezeichnung capslock (feststelltaste) hat es sogar ins urban dictionary geschafft; sie bezeichnet jemanden, der unabdinglich schreit.

Es gibt jedoch auch historisch-ästhetische und logische Gründe, die gegen eine durchgängige Verwendung von Majuskeln, so der Fachausdruck für Großbuchstaben, sprechen. Sie dienten und dienen der Hervorhebung, verfehlen somit ihren Zweck, wenn sie durchgängig auftauchen. Im Deutschen hatte die Großschreibung im Mittelalter Konjunktur; später, im 17. und 18. Jahrhundert, diente die sogenannte Doppelmajuskel dazu, religiöse Autoritäten hervorzuheben („GOtt“, „HErr“). Antiaufklärerisch! In der Neuzeit befürworteten dann viele Sprach­äs­the­t*in­nen auch deshalb die Kleinschreibung, weil sie leichter lesbar schien.

Der Großschreibung ist das Unverrückbare eingeschrieben, der Kleinschreibung das Es-könnte-auch-anders-sein

Natürlich kann man die Sprachpolitik nicht auf die kurze Formel „Großschreibung = rechts und autoritär“ und „Kleinschreibung = links und aufklärerisch“ bringen, beileibe nicht. Eine These aber wäre, dass der reinen Großschreibung das So-ist-es-und-nicht-anders, das Auf-den-Tisch-Hauen, das Unverrückbare eingeschrieben ist, der Kleinschreibung hingegen das Es-könnte-auch-anders-sein und der Zweifel. Zugegeben, das führt nur zu einer banalen, aber dafür um so wichtigeren Einsicht: Wir sollten dringend gemäßigter, reflektierter und weniger absolut miteinander diskutieren.

Einem Donald Trump braucht man damit natürlich nicht zu kommen, aber bei manch anderen, die die UNZWEIFELHAFTE WAHRHEIT in Großbuchstaben in die Welt posaunen, hat man vielleicht noch die Chance, Gehör zu finden. Jens Uthoff