Brettspielmesse in Essen: Würfel, Schwerter, teure Pommes

Die Messe SPIEL in Essen ist die größte der Welt und ein Pflicht­termin für die Szene. Man darf nur keine Angst vor Menschenmassen haben.

Viele Menschen vor Ständen in einer Messehalle

Und es wurde noch sehr viel voller: Die Messe SPIEL in Essen Foto: Fabian Strauch/dpa

Es ist fast leer im Zug am frühen Morgen, wo doch der Rest der Welt noch schläft. Umso lauter dringen die Gespräche der Männergruppe vom Ende des Abteils herüber: „Natürlich kannste die Bonusaktion und eine Re-Aktion umwandeln“, sagt der eine gerade, „das Regelwerk 2024 lässt das zu.“ Die Schärfe im Ton ist irritierend, obwohl ich weiß, wovon die Fremden da reden. Der Angesprochene räuspert sich: „So ist das. Edition 5.5 kam nämlich nur, damit mein Characterbuild endlich funktioniert.“ Alle lachen.

Und während sich die Anspannung löst, beginne ich mich auf eine Fahrt einzustellen, die noch sehr, sehr lang werden wird. Und das nicht nur, weil die Spielemesse in Essen noch zweieinhalb Stunden entfernt ist – sondern auch, weil noch mehr Nerds zusteigen werden und es mit jedem Bahnhof ein bisschen lauter wird: das Gespräch über Fantasyrollenspiele, Star Wars, Warhammer und die Wahrscheinlichkeiten dieser oder jener Würfelergebnisse.

Die SPIEL ist die größte Spielemesse der Welt. Wirklich! Es gibt größere für Spielzeug und Videospiele – aber was das klassische Brettspiel angeht, ist Essen im Ruhrpott Spitzenreiter. 200.000 Menschen werden übers Wochenende auf der SPIEL erwartet, um sich 850 Stände auf 68.500 Quadratmetern anzuschauen.

Mitten im Gedränge

Es ist brechend voll, auch weil die Eröffnung diesmal auf den Tag der Deutschen Einheit fällt. Bereits am Essener Hauptbahnhof regeln Sicherheitskräfte das Auf und Ab zur U-Bahn Richtung Messehallen, was hier und da zu Irritationen der Normal-­Essener führt, die plötzlich zwischen als Orks und Hexen Verkleideten und ihren sonderbaren Gesprächen feststecken.

Auf dem Gelände selbst kommt man erstaunlicherweise ganz gut zurecht, sofern man flexibel ist, was das Programm angeht. Verbissen auf bestimmte ­Signierstunden zu warten oder diese eine limitier­te Messepromo­tions­spielkarte einsacken zu wollen mag frustig sein. Wer aber mit offenen Augen durch die Hallen wandert, findet immer mal einen gerade frei gewordenen Spieltisch, an dem junge Menschen in Verlagsshirts aufs Professionellste Spiele erklären. Viel besser als zu Hause: Man kann einfach wieder gehen, wenn das Spiel doch doof ist.

Ein Happy End vielleicht: Vor 25 oder 30 Jahren stand die SPIEL (damals noch: Internationale Spieltage) an der Schwelle zur Ramschmesse. Als das damals noch frische Internet ganzjährig über Neuerscheinungen informierte, ging es auf der Messe weniger um leuchtende Augen als um Kampfpreise. Und auch wenn das Ausprobieren seinen Wert hat, war es lustigerweise wieder das Internet, das der Sache frischen Wind einhauchte. Heute sieht man nämlich nicht selten Spiele, die es noch gar nicht gibt, weil Aussteller mit Prototypen ihre Crowdfunding­kampagnen bewerben. Adressen werden hoch gehandelt: Für mein spannendstes Spiel habe ich nicht gezahlt, sondern lediglich mit ­gescanntem QR-Code einen Newsletter abonniert.

Neue Haut für alte Spiele

Ob die Branche abgesehen von ihren Vertriebskanälen noch echte Innovationen abwirft? Ich weiß es nicht. Viele Leute in den Testrunden scheinen schon recht genau zu wissen, was sie erwartet. Und auch die freundlichen Pro­mo­ter:in­nen setzen aufs Vertraute.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Mein erstes Spiel wird etwa so erklärt: „Es funktioniert wie ­Boccia, nur mit Pfeilen.“ Bei einem Star-Wars-Kartenspiel geht es statt der eigentlichen Regeln eher um die (wenigen) Unterschiede zum Genrebegründer Magic: The Gathering von 1993. Das dritte ist Schach mit einem lustigen Dreh an den Regeln, und über ein viertes ist zu hören, es gebe das gleiche schon mit Raumschiffen statt Tiefseemonstern. Reskinning nennt das der Entwickler selbstbewusst: dem gleichen Spiel eine neue Haut verpassen.

Die Kundschaft scheint damit kein Problem zu haben. Im Gegenteil: Wieder im Zug, wird den Mitreisenden die siebte Erweiterung von Spiel Soundso präsentieren, das Reboot von irgendwas gefeiert oder ein günstig geschossenes Sammlerstück aus den 1980er Jahren gezeigt. Nur müde ist man von dem Tag. Und etwas leiser als auf dem Hinweg.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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