Eine Welt im Selbstzerstörungs­modus beim Spiel ohne Grenzen

Schauspielstars zwischen Method-Acting Parodie und Splatterhorrorfilmfarce: „Method“, eine schrille Inszenierung vom ungarischen Regisseur Kornél Mundruczó feierte Premiere an der Berliner Volksbühne

V. l. n. r.: Zarah Kofler und der lange Arm von Benny Claessens in „Method“ Foto: Luna Zscharnt

Von Tom Mustroph

Der ungarische Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó inszeniert an der Berliner Volksbühne mit „Method“ eine muntere Horrorfarce als Film- und Theater-Hybrid. Darin brillieren Martin Wuttke als Schauspielstar im Werwolf-werde-Modus und Benny Claessens als kongenialer Schauspielcoach. Viel Nonsens gibt es, noch mehr Blut wird verspritzt. Und als gedankliche Klammer darf man sich ausdenken, dass Mundruczó die Rolle von rohester Gewalt als Produktivkraft in der Entertainmentbranche und darüber hinaus untersuchen möchte.

Mit so gesetzter Rahmung macht der wilde Schockerabend Sinn. Denn ­befindet sich die Welt nicht gerade ­mitten im Selbstzerstörungsmodus – Stichwort Israel/Gaza, Ukraine/Russland? Auch die FDP unter Lindner darf man dazurechnen sowie Retro­nationalisten der Marke Trump und ­Orbán, vom blinden Weitermarsch in den Klimawandel ganz zu schweigen.

Hübsche Raumkapsel

Da ist es nur konsequent, dass Mundruczó seinen Protagonisten Marvin (Martin Wuttke himself) im Astronautenanzug und mittels hübsch gestalteter Raumkapsel (Bühne und Kostüme Monika Pormale) ins All schickt. Beim Andockmanöver an die ISS geht manches schief. Das kann man über diverse Monitore mit Aufnahmen des echten ISS- und Sojus-Fuhrparks verfolgen. Per Hand gelingt das Andocken schließlich doch. Natürlich ist das alles nur Spiel im Spiel. Marvin, ein laut Spielanleitung (Text Kata Wéber) recht scheußliches Exemplar der Gattung #MeToo-Täter, hat in diesem Middle-Budget-Space-Thriller die allerletzte Chance, seine Filmkarriere doch noch fortzusetzen. Für Filmregisseur Stephen (Maximilian Brauer) spielt er aber zu lasch. Schuld daran ist aus Sicht der drehenden und produzierenden Herren klassischerweise die Partnerin. Und die soll folgerichtig ausgetauscht werden.

Erster Höhepunkt ist, wie Claessens als Schauspielcoach Bob die vielfach gedemütigte Ex-Geliebte Marvins auf den Set zu locken versucht. Er und Johanna Wokalek ziehen dabei viele Register des Tricksens und Täuschens bei ­Vertragsverhandlungen. Jede Seite nutzt die Not der anderen schamlos aus. Und am Ende befinden sich alle in genau der toxischen Konstellation, die sie zuvor eigentlich auf ewig vermeiden wollten.

Die Parodie aufs Showgeschäft nimmt allerdings erst jetzt so richtig Fahrt auf. Mundruczó hat es – aus ­Gründen, die nicht so recht er­sichtlich werden – aufs Method Acting ­abgesehen. Das ist eine auf ­Naturalismus ­getrimmte Schauspielschule frei nach Stanislawski, die in Reinform im ­Theater eher schwer erträglich ist, für die großen Holly­woodstudios aber zur Basis ­globalen Erfolgs wurde. Eines der Kernelemente ist es, eigene Erlebnisse und Erfahrungen als Katalysatoren für emotionale Zustände zu nutzen. Da Marvin als Schau­spieler in extremste Gefühls- und Handlungsregionen vordringen soll, darf er sich dann auch privat mächtig austoben. Das gipfelt in einer Mordserie auf dem Set, die alle Beteiligten aus Eigeninteresse so lange zu vertuschen versuchen, bis sie selbst an der Reihe sind. ­Splatterhöhepunkt ist das Ausweiden von Bob.

Wuttke beißt hier zunächst kräftig in Claessens Unterarm – gut, beide spielen das hoffentlich nur – und verteilt nach ordentlicher Kunstblutspritz­orgie diverse dunkelrot getönte Plastik­objekte, die an Gedärme, Nieren, ­Leber und ­andere Innereien erinnern. Schlussendlich hält er ein Herz in seinen Händen. Die eigenen Finger­bewegungen deuten das Pochen des Zentralorgans an. Selten hatten so kleine Bewegungen so große Wirkung. Dann lässt er das Herz des getreuen Coachs und Wegbegleiters in einer Aldi-Tüte verschwinden.

Am Ende befinden sich alle in der toxischen Konstellation, die sie zuvor eigentlich vermeiden wollten

„Method“ treibt die Lust an Untergang und Zerstörung auf die Spitze. Die Splatter-Farce nimmt dabei aber auch sehr konsequent Witterung auf, wenn es um Unterdrückungs­praktiken in der Theater- und Filmbranche geht. Das sind einerseits die Erniedrigungs­szenarien, um an größere Rollen zu kommen, und andererseits die Seelenpornos, zu denen manche getrieben werden, um glaubhaft Extremzustände darstellen zu können.

Aber auch die wirtschaftswissen­schaftliche Schule, die sich um den Begriff der schöpferischen Zerstörung von Joseph Schumpeter organisiert hat und mit der vor allem die disruptiven Momente der digitalen Ökonomie gefeiert werden, kommt in den Sinn. Und nicht zuletzt die Axt, die Retronationalisten allerlei brauner Couleur gegenwärtig an Gemeinwesen weltweit anlegen.

Zerstörung allenthalben – und schiere Lust daran, um etwas Neues zu erreichen. Bei „Method“ ist das Neue Wuttke als haariger Werwolf. An diesem eher possierlichen Beispiel dekliniert Mundruczó durch, welche Kräfte freigesetzt werden können, wenn zivilisatorische Fesselungen abgestreift werden. Das kann man als globale Komponente dieses schrillen Bühnenwerks lesen.