Kaschmir hat nach zehn Jahren erstmals eine Wahl

In der indischen Konfliktregion treten zwei Lokalparteien gegen die hindunationalistische Volkspartei von Premierminister Narendra Modi an

Von Natalie Mayroth, Mumbai

An diesem Mittwoch beginnt im indisch verwalteten Teil von Kaschmir der erste von drei Teilen der Regionalwahl. Es ist das erste Votum dieser Art in der bis vor fünf Jahren halbautonomen Konfliktregion. Die regionale Demokratische Volkspartei (PDP) unter Mehbooba Mufti und die National Conference (NC) unter Omar Abdullah, die beide von früheren kaschmirischen Ministerpräsidenten geführt werden, treten gegen die hindunationalistische Volkspartei (BJP), die auch die nationale Regierung in Delhi führt, und einige unabhängige Kan­di­da­t:in­nen an.

Indiens BJP-Premier Narendra Modi warf den Politfamilien der Abdullahs, Muftis und seiner nationalen Konkurrenz der Gandhis von der Kongresspartei bei einer Rede in Jammu vor, den früheren Bundesstaat Jammu und Kaschmir (J&K) in den Ruin getrieben und Terrorismus gefördert zu haben. Dies finde nun in dem Unionsterritorium, das seit 2019 von der Regierung in Delhi direkt regiert wird, ein Ende. Damals hatte seine Regierung den Bundesstaat in zwei der Zentralregierung direkt unterstellte Verwaltungsgebiete aufgeteilt: Jammu und Kaschmir sowie Ladakh. Das hob die Teilautonomie auf, was erklärtes Ziel der BJP war. Der Preis war ein Ausnahmezustand und die Abschottung der Bevölkerung über Monate, was der Wirtschaft schadete.

Seitdem versucht die BJP ihren Einfluss durch Entwicklungsversprechen und ein hartes Vorgehen gegen Terroristen auszubauen. Kaschmir soll wieder eine Tourismusdestination werden mit Hilfe auswärtiger Investoren, die nun in J&K erstmals Land erwerben können. In der hinduistisch geprägten BJP-Hochburg Jammu wurde ihr Einfluss im Jahr 2020 durch eine umstrittene Neuverteilung von Sitzen gestärkt. Dennoch sei die BJP von einer Mehrheit noch weit entfernt, meint die kaschmirische Journalistin Anuradha Bhasin.

Hauptgegner der BJP In Jammu ist die Kongresspartei. Indiens größte nationale Oppositionspartei hat mit der NC eine Allianz geschlossen. Kaschmir sei „zum Friedhof der Hoffnungen und Träume geworden“, sagt Kongresssprecher Pawan Khera. Modi habe den Menschen dort nichts zu bieten, sagt der NC-Politiker Omar Abdullah. „Die BJP behauptet, die Situation habe sich verbessert, aber sie hat in den letzten zehn Jahren in J&K keine Wahlen abhalten können“, merkt Mehbooba Mufti an.

2014 war ihre PDP ein Bündnis mit der BJP eingegangen. Für manche ein Verrat. Die Koalition zerbrach 2018. Die BJP zog sich zurück und Delhi übernahm die direkte Kontrolle. Die Muftis stellen sich inzwischen entschieden gegen die BJP. „Ich glaube, dass es am Ende auf eine Koalitionsregierung ohne die BJP hinausläuft und die PDP eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung spielen wird“, sagt Iltija Mufti, Tochter der früheren Regierungschefin.

„Kaschmir leidet emotional und psychologisch unter einem Grundgefühl des Identitätsverlustes, nicht nur in politischer, sondern auch in sozialer und kultureller Hinsicht“, schreibt Haseeb Drabu in der Zeitung Greater Kashmir, der unter der PDP Finanzminister war. Die Menschen plagten Angst und Misstrauen gegenüber der Regierung. Er sieht die Wahlen als ersten Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung Kaschmirs als Bundesstaat.

Das verspricht auch die Kongresspartei. Die Regionalparteien PDP und NC fordern die Wiedereinführung des Sonderstatus – ein schwer zu erreichendes Ziel. Derweil bleibt die Sicherheitslage angespannt. Seit Indiens Unabhängigkeit 1947 ist Kaschmir ein umstrittenes Gebiet, das von Indien, Pakistan und China ganz oder teilweise beansprucht wird. Seit 1989 kämpfen verschiedene, oft islamistische Gruppen um Unabhängigkeit, mehr Autonomie oder den Anschluss an Pakistan.