orte des wissens: Schifffahrts-Museum hält Kurs auf Ganzheitliches
Verkehre auf dem Wasser in allen Aspekten erforscht und vermittelt das Deutsche Schifffahrtsmuseum
Nur wenige Schritte sind es vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM), Bremerhaven, dem Leibniz-Institut für Maritime Geschichte, bis zur Wesermündung. Gleich dahinter öffnet sich das Meer. Feuerschifflaternen und Rangierkräne erwarten uns, Seezeichen und Navigationsinstrumente, ein Ex-Fischkutter mit Betonrumpf und der Schornstein des legendären nuklearen Forschungsschiffs „Otto Hahn“. Wer will, kann an Bord eines Wal-Harpunierers von 1939 gehen, eines Bergungsschleppers von 1924.
Alles ist auf den ersten Blick wie gewohnt und erwartet. Aber das Forschungsmuseum, lange sehr technikgeschichtlich ausgerichtet, ist im Wandel. Heute geht es hier auch um Wirtschaft und Umweltschutz, um Biodiversität und sozialgeschichtliche Fragen. „Unser Anspruch ist, die Welt vom Meer aus zu betrachten“, erklärt Historikerin Ruth Schilling der taz. Die Direktorin des DSM lehrt zugleich als Professorin Wissenschaftsgeschichte an der Uni Bremen. Über das Schiff erschließe sich „das Verständnis unserer globalisierten Welt“, so ihr Anspruch.
Damit, dass Schiffe Sehnsuchtsorte genauso wie Lieferfahrzeuge sein könnten, Kriegstreiber oder Fluchthelfer, Umweltzerstörer oder Wissensspeicher, macht das Museum Werbung. Aber es geht im DSM nicht nur um Schiffstypen und ihre Materialien und Funktionen: Das rund 80-köpfige Team vereint Expertise von der Geschichts- bis zur Medienwissenschaft, von der Archäologie bis zur Kulturanthropologie. Hier geht es um den Tiefseebergbau und um Fisch als Industrie-Ressource. Es geht um die Gefahren, die von Wracks voller Weltkriegs-Munition ausgehen und um die Veränderung der Meere durch den Klimawandel. Es geht um die Untersuchung archäologischer Fundplätze in der Nordsee.
8.000 hell-moderne Quadratmeter Ausstellungsfläche sind zu betreuen, Depots, ein Digitalmuseum vom Podcast bis zum virtuellen Rundgang. 60.000 Objekte umfasst die Sammlung, vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Dass das überschaubare Team des DSM all das bewältigt, ist ein kleines Wunder. „Da ist schon viel Enthusiasmus gefordert“, sagt Schilling.
Das Wahrzeichen des Hauses ist nach wie vor die „Bremer Kogge“, ein Handelfahrer von 1380, gefunden in der Weser; von zuhause lässt sich ein Drohnenflug durch sie anklicken, zu Musik aus Pirates of the Caribbean. Aber wer die neue Dauerausstellung „Schiffswelten – Der Ozean und wir“ betritt, erkennt schnell, dass sich das DSM nicht nur mit Bordwandstärken, Ladekapazitäten und Antriebsarten befasst. Es geht zugleich um das Raubbauverhältnis des Menschen zur Natur, um Meeresforschung, um die Rolle von MigrantInnen im Schiffbau. „Viele Stammgäste kommen vor allem wegen der Schiffe“, sagt Schilling. „Da spüren wir dann zuweilen Befremden, dass wir auch so vieles andere machen.“
Prof. Dr. Ruth Schilling, Direktorin des DSM
Befremden ist ihr auch schon sehr persönlich entgegengeschlagen, bei ihrer Forschung zur Kolonialgeschichte. „Schiffe waren für den Kolonialismus ja von immenser Bedeutung, im Sklavenhandel, in der Plantagenwirtschaft“, sagt Schilling. „Massiver Widerstand“ habe sich gegen sie aufgebaut. „Er kam von Leuten, die noch heute für den Norddeutschen Lloyd in die Bresche springen, im Deutschen Kaiserreich eine der größten Reedereien und Profiteure des Kolonialismus. Unangenehme Mails haben mich erreicht. Es wurde versucht, Einfluss auf politische Amtsträger zu nehmen, um meine Forschung zu verbieten.“ Schilling und das DSM haben sich davon nicht beirren lassen. Auch mit der Kreuzfahrtbranche setzt sich das DSM kritisch auseinander. Und wer hier das Scherbrett eines Schleppnetz-Trawlers sieht, überlegt sich nächstes Mal an der Fischtheke zweimal, ob er nicht lieber Vegetarier wird. Gut so. Harff-Peter Schönherr
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