berliner szenen: Die Wochen zogen sich ringlos hin
Fast den ganzen Sommer hab ich in einem kleinen, alten Haus verbracht. Es gehütet, während die Besitzer verreist waren. Zwar hat mir eines der Gewitter aufgrund fehlenden Überspannungsschutzes meinen Laptop zerlegt – jedoch war ich aufgrund der wunderbaren Lage in Dahlem immerhin oft beim Schwimmen in den Grunewaldseen. Leider nicht nur der Laptop, sondern auch mein einziger Ring ging beim Einhüten verlustig, schon in den ersten Tagen. Misslich. Ich hatte ihn so viele Jahre getragen, durch diese vieljährige Routine lieb gewonnen, und einmal wäre er sogar fast so etwas wie ein Verlobungsring geworden.
Ich skrutierte die Strände, an denen ich gewesen war, im Haus die Dielenritzen, schwer zugängliche Winkel, sogar Blumenkübel und Regalböden, denn ich wusste, der Ring war beim Fall auch zum Hochsprung fähig. Vieles fand sich. Nicht aber meinen Ring. Also blieb nichts anderes übrig, als ihn vorerst zu vergessen, meinem Tagesablauf zu folgen, als sei nichts gewesen. Die Wochen zogen sich ringlos hin. Allmählich spähte ich in die Fenster der Juweliere und Kaugummiautomaten auf der Suche nach einem Nachfolger.
Zwei Tage vor Ende meines Housesittings liege ich mit einer Badebekanntschaft, die sich im Zuge meiner Ringsuche ergeben hatte, im warmen Sand. Neben uns die marode, aber stoisch wasserdichte Kühltüte für die nassen Badesachen. Komisches Dekor, sah doch sonst immer anders aus – anders komisch –, denke ich beiläufig, während wir uns unterhalten. Sollte das Ding mal ersetzen. Beim näheren Hinsehen entpuppt sich der neue Tütenschnörkel aber als mein Ring, der sich irgendwie, irgendwann hinter die äußere Klarglasfolie gemogelt haben muss, nur zwei Zentimeter von der ausgerissenen Ecke entfernt. Hätte zigmal rausfallen können, tat’s aber nicht. Was für eine Treue.
Felix Primus
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