Neuauflage des Neukölln-Prozesses: Mit Indizien gegen das Schweigen
Am Landgericht hat der Berufungsprozess gegen Tilo P. und Sebastian T. begonnen. Wieder geht es um den Vorwurf der Brandstiftung.
Im ersten Verfahren war Tilo P. lediglich wegen Propagandadelikten zu einer Geldstrafe und Sebastian T. wegen Morddrohungen, Sachbeschädigungen und Sozialbetrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden. Die beiden Neonazis hatten dagegen ebenso Berufung eingelegt, wie die Generalstaatsanwaltschaft, die auf eine Verurteilung wegen der Brandstiftungen an den Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak und des Buchhändlers Heinz Ostermann pocht.
Der Prozess startete mit einer Wiedergabe des bisherigen Prozessgeschehens und der Verlesung des Urteils aus dem ersten Verfahren. T. und P., die sich von jeweils zwei Anwält:innen vertreten lassen, äußerten sich erneut nicht zu den Anklagepunkten. Danach startete das Gericht in die Beweisaufnahme. Zunächst geht es dabei um den Vorwurf des Sozialbetrugs gegen Sebastian T., der seine vom Jobcenter bezahlte Wohnung ohne Erlaubnis zwischen vermietet haben soll.
Der Prozess ist auf 14 Verhandlungstage bis zum 28. November festgesetzt. Zunächst werden dabei vor allem die Verbreitung von Propaganda für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß und die Bedrohung politischer Gegner:innen durch Sprühereien an deren Wohnadressen verhandelt. Erst im November soll es um die Brandstiftungen gehen.
Den Dingen auf den Grund gehen
Franziska Nedelmann, Anwältin des Nebenklägers Ferat Kocak, sagte der taz, sie hoffe, dass das Landgericht „ernsthafter um Aufklärung bemüht ist“ als zuvor das Amtsgericht. Vor allem bei der Vernehmung von Zeugen aus der Naziszene erhoffe sie sich, dass „mehr nachgebohrt“ werde. Neue Beweise für den Vorwurf der Brandstiftungen erwarte sie nicht. Es komme darauf an, „wie das Gericht die Indizien würdigen wird“, so Nedelmann.
Ferat Kocak kommentierte den erneuten Prozess auf den sozialen Netzwerken: „Es ist ein Skandal, dass der Fokus der Ermittlungsbehörden nach wie vor auf einzelnen Tätern liegt, während rechte Netzwerke in Neukölln weiterhin ihr Unwesen treiben.“ Er forderte „endlich Antworten und Klarheit darüber, ob und in welchem Umfang Sicherheitsbehörden selbst Teil des Problems sind“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!