berliner szenen: Noch ein Stück Kuchen
Jetzt sehe ich sie alle. Ich sitze bei ihnen, ich bin sogar einer von ihnen. Weil ich krankgeschrieben bin, gehöre ich plötzlich zu diesen Menschen, die an einem Wochentag mitten am Tag Kaffee in der Sonne trinken. Ob sie tatsächlich nicht arbeiten oder nach der Pause wieder in ihre Büros oder ins Home Office eilen müssen, weiß ich nicht.
Das wusste ich auch damals nicht, als sie mir wie ein mysteriöses Phänomen vorkamen. Jetzt betrachte ich sie aus der Nähe, ich sehe, wie sie sich begrüßen, sich unterhalten, sich die Bücher aus der Bücherbox anschauen, mit Blumensträußen und Einkaufstüten vorbeiziehen, mit dem Hund Gassi gehen oder ihre Babys in Tragetüchern um den Bauch tragen.
An der kleinen Holzinsel am Anfang der Richardstraße in Neukölln, wo ich meinen Kaffee trinke, versammeln sie sich auch. Die Getränke werden dort in Marmeladengläsern serviert, die sind überteuert, aber lecker. Kräuter, Blumen und Feigenbäume umgeben die Tische, Bienen fliegen herum. Es läuft HipHop und es gibt ein Sommerfeeling, obwohl viele Gäste bereits die ersten gemütlichen Pullover tragen, die in der Sonne zu heiß wirken.
Ich komme von einem meiner vielen Arztbesuche der letzten Tage und habe auch eingekauft; eine Tüte liegt neben mir. Normalerweise ist es für mich eine Ausnahme, um die Mittagszeit Zeit für eine längere Pause zu haben, und ich wünschte mir, ich hätte kein kaputtes Knie, und es wäre weiterhin etwas ganz Besonderes, mich plötzlich dort zu befinden, ohne genau zu wissen, was ich als Nächstes tun werde. Ich genieße es nicht, wie es alle um mich herum es zu genießen scheinen. Doch am Ende schaffe ich es, mich ein bisschen zu entspannen. Dann bestelle ich noch einen Cortado und noch ein Stück Karottenkuchen.
Luciana Ferrando
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