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Festivalchef über migrantische Literatur„Es ist keine Nische“

Queere Stimmen, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus in der Literatur hörbar machen: Kadir Özdemir über „Collecting Dreams“ in Hannover.

Will migrantische Au­to­r:in­nen empowern: Veranstalter Kadir Özdemir steht beim ersten Festival vergangenes Jahr auf der Bühne Foto: Andreas Jopp
Interview von Jonas Kähler

taz: Herr Özdemir, warum braucht Hannover ein Festival für (post-)migrantische Literatur?

Kadir Özdemir: Der Literaturbetrieb konzentriert sich stark auf Berlin und dann Hamburg und Köln, wo auch die großen Verlagshäuser angesiedelt sind. In Hannover, einer wunderschönen und unterschätzten Stadt mit sehr viel Potenzial, sind bestimmte Dinge nicht so vorhanden. Das Festival findet in diesem Jahr zum zweiten Mal statt. Natürlich findet auch hier Literatur statt, wir haben Institutionen wie den Literatursalon und das Literaturhaus, aber im Bereich postmigrantischer Literatur und Lebensrealitäten ist in Hannover wenig los gewesen. Und wenn, dann waren postmigrantische Au­to­r:in­nen und ihre Realitäten immer ein bisschen das Randstück.

taz: Und Sie bieten diesen Perspektiven und Au­to­r:in­nen einen Raum.

Özdemir: Genau. Eigentlich sind wir nicht nur das erste postmigrantische Literaturfestival in Hannover, sondern in ganz Niedersachsen. Die Lebensrealitäten, die von Migration, Postmigration oder Postkolonialismus geprägt sind, kamen im Literaturbereich in ganz Niedersachsen nicht vor. Das sagt auch etwas aus über Förderungen, über die Bereitstellung von Ressourcen. Diesen postmigrantischen Erfahrungen und ihrer Ästhetik in der Kultur wollten wir einen Raum geben. Das haben wir letztes Jahr beim ersten Festival mit dem Slogan „Your story matters to all of us“ in den Fokus gestellt: Es ist keine Nische, es ist nicht nur Migrationsdebatte.

taz: Dieses Jahr steht das Festival unter dem Motto „Raise your voice: together“.

Özdemir: Wir sind alle weder von Sylt noch von Bautzen noch von dem „Geheimtreffen“ in Potsdam überrascht. Wir sind von nichts wirklich überrascht, aber trotzdem alarmiert. Wir wollten in diesem Jahr als postmigrantische Realität ganz viele Menschen zusammenbringen, die an unterschiedlichen Themen arbeiten, aber trotzdem ihre Stimmen gemeinsam erheben.

taz: Wie sieht das im Rahmen des Festivals aus?

Bild: Armin Wühle
Im Interview: Kadir Özdemir

47, ist Autor, Theatermacher und Politischer Bildner. Er ist Gründungsmitglied des Postmig Writers Collective und des Prisma Queer Migrants e. V. sowie Leiter des „Collecting Dreams“-Festivals.

Özdemir: Wir bringen sowohl queere Programmpunkte ein als auch Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Wir wollen nicht, dass diese Themen als Einzelkämpfe gesehen werden, die parallel laufen, jeder für sich. Das Festival ist ein Ort – immer im Rahmen der Literatur, von Sachliteratur bis Lyrik –, bei dem alles beisammen ist. Es ist in diesem Jahr von dem Gedanken getragen, dass wir gemeinsam protestieren. Und auch streitbar sind. Das gehört zu einer demokratischen Kultur dazu, auch anzuecken.

taz: Kommen wir noch einmal zur deutschen Literaturlandschaft. Haben sich hier in den letzten Jahren nicht viele (post-)migrantische Au­to­r:in­nen einen Namen gemacht?

Özdemir: Die großen Würfe von Saša Stanišić, Kübra Gümüşay oder Dinçer Güç­yeter mit seinem Deutschlandmärchen, das vergangenes Jahr den Preis bei der Leipziger Buchmesse bekommen hat, werden inzwischen auch gesehen. Sie tauchen aber eher als Stars auf und werden auch immer als er­folg­rei­che:r Au­to­r:in eingeladen. In vielen Debatten tauchen wir nur ästhetisch oder dekorativ auf. Man muss aufpassen, dass nicht einzeln kurz Vielfalt vorgezeigt wird, ohne dass es eine Einbindung gibt und Vielfalt auch in den Strukturen geschaffen wird.

taz: Es geht also um Repräsentanz?

Festival „Collecting Dreams“

Eröffnung Fr, 13.9., 17 Uhr, Pavillon Hannover; bis 15. 9.; Infos: collecting­dreamsfestival.de; pavillon-hannover.de

Özdemir: Einerseits sind wir weiterhin bei Weitem nicht unserem Bevölkerungsanteil gemäß repräsentiert, dann geht es aber auch nicht nur um konkrete Positionen, sondern etwa auch um Titel. Wer wird überhaupt ernst genommen? Wenn eine junge Person of Colour von sich behauptet, Schrift­stel­le­r:in zu sein, wird das anders ernst genommen oder gar belächelt. Es geht also nicht nur um Repräsentanz.

taz: Sondern?

Özdemir: Wir wollen auch versuchen, das zu verankern und uns als Ak­teu­r:in­nen verstehen. Das schafft auch ein Empowerment. Das wollen wir auch mit dem Festival schaffen: Innerhalb der Literaturlandschaft der Stadt unseren Narrativen und Perspektiven eine eigene Würdigung geben. Gerade viele postmigrantische Schrei­be­r:in­nen haben Schwierigkeiten, sich als Au­to­r:in­nen zu bezeichnen.

taz: Woran liegt das?

Özdemir: Weil damit noch ein elitäres Gehabe verbunden wird, sodass sie sich die Identitätsbildung hin zu „Ich bin Schriftsteller:in“ nicht zutrauen. Wir wollen aber sagen, wenn du eine Stimme hast – und du hast eine Stimme – und du schreibst und drückst dich schreibend aus, dann bist du Schriftsteller:in. Ob du schon veröffentlicht hast oder nicht. Du brauchst keine Bestätigung von irgendeiner weißen Struktur, um das für dich zu beanspruchen.

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