Feministisches Historiendrama „Rosalie“: Zwischen Selbst und Sitte

Stéphanie Di Giusto bringt eine Figur auf die Leinwand, die alle Konventionen sprengt. Ihr Film „Rosalie“ ist Plädoyer für den Mut, zu sich zu stehen.

Clothilde und Rosalie sitzen auf einer Bank

Keine Berührungsangst: Clothilde (Juliette Armanet) und Rosalie (Nadia Tereszkiewicz) Foto: X-Verleih

Weil Rosalie (Nadia Tereszkiewicz) bedingungslos geliebt werden will, wünscht sie sich ein Kind. Den Wunsch spricht sie früh im Film aus, mit einem gewissen Nachdruck. Dennoch kann man ihn zunächst leicht überhören, weil er wohl das Gewöhnlichste an der jungen Frau ist – und wahrscheinlich das Einzige, das sie mit ihrer Zeit und den gängigen Erwartungen an die Frau am Ende des 19. Jahrhunderts gemein macht.

Ohne Pathos erzählt „Rosalie“ vom immensen Wert der Hoffnung

Denn eigentlich fordert Rosalie die gesellschaftlichen Gepflogenheiten ihrer Epoche radikal heraus – und würde ohne Zweifel auch in der Gegenwart noch für aufgeregten Widerspruch sorgen. Allerdings nicht etwa durch besondere Ansichten oder einen extravaganten Lebenswandel, sondern durch ihre biologische Beschaffenheit, ihre schiere Existenz: Von Geburt an liegt bei Rosalie eine Hormonstörung vor, die einen übermäßigen Haarwuchs bedingt, sowohl am Körper als auch im Gesicht.

Im Wissen um die Provokation, die diese Abweichung von der Normalität mit sich bringt, rasiert sie sich jeden Tag und legt regelmäßig Puder nach, um das Aufkommen eines Bartes zu verhindern.

Große Aufregung

Am Morgen, an dem das französische Historiendrama seine Erzählung beginnt, gibt sich Rosalie besondere Mühe, denn ihr verwitweter Vater (Gustave Kervern) will sie verheiraten. Da beide den Mann noch nicht kennen, der in einem kleinen Dorf im Norden des Landes ein Café betreibt, ist die Aufregung besonders groß.

„Rosalie“. Regie: Stéphanie Di Giusto. Mit Nadia Tereszkiewicz, Benoît Magimel u. a. Frankreich/Belgien 2023, 116 Min.

Abel (Benoît Magimel) jedoch, der eigentlich nur wegen der Mitgift heiraten wollte, kann sein Glück beim Anblick seiner künftigen Angetrauten kaum fassen: Die junge Frau, die da vor ihm sitzt, ist überaus attraktiv und ihr verlegenes Auftreten, das er wohl schlicht für geziemende weibliche Zurückhaltung hält, geradezu liebreizend. Weil er der Sache nicht recht traut, fragt er Rosalie noch, was sie zu verbergen hat, und zeigt sich erleichtert, als sie besagten Kinderwunsch äußert.

Erneut deutet er die Zeichen falsch, stutzt nicht darüber, dass sie sich so sehr nach „bedingungsloser Liebe“ sehnt – und wundert sich auch nicht, weshalb sie nur auf diesem Wege tiefe Zuneigung finden zu können meint. Wahrscheinlich verwechselt er den Wunsch schlicht mit weiblicher Sehnsucht nach einem Dasein als Mutter.

Behaarte Frauenbrust

Seine Empörung, als er in der Hochzeitsnacht dann auf eine behaarte Frauenbrust stiert, ist deswegen umso größer. Es wäre ein Leichtes, Rosalie daraufhin allein zur tragischen Heldin zu machen. Angesichts der Tatsache, dass ihre gefahrenträchtige Andersartigkeit etwas ist, dem sie letztlich nicht entrinnen kann, wäre es der naheliegendste Verlauf, den der zweite Spielfilm von Stéphanie Di Giusto, die sowohl für die Regie als auch das Drehbuch zum Film verantwortlich zeichnet, hätte nehmen können.

Solch einem Fatalismus aber entzieht sich die unaufgeregte Inszenierung ebenso wie das durchdachte Skript, das stattdessen ein berührendes Beziehungsdrama und eine ermutigende, niemals naive Charakterstudie in sich vereinigt. Denn Rosalie, die lose vom Schicksal der Clémentine Delait inspiriert ist, weiß sich gegen die Widerstände zu behaupten.

Sie wagt es, mit einem der wenigen Cafébesucher ihres Gatten eine Wette einzugehen: Wenn es ihr gelingt, sich binnen eines Monats einen prächtigen Vollbart wachsen zu lassen, schuldet er ihr eine beachtliche Summe. Sie gewinnt, wird zur Sensation und das kleine Lokal wirft plötzlich so viel Geld ab, dass Abel all seine Schulden bei dem einflussreichen Mäzen des Ortes (Benjamin Biolay) begleichen kann.

Kein Verstecken mehr nötig

Anfangs zumindest scheint ihr Ehemann der Einzige zu sein, der nicht von der Schönheit des Abweichenden in den Bann gezogen wird. Fast zu groß wirkt die Begeisterung, die ihr von der ländlichen Bevölkerung entgegenschlägt, beinah berauschend wiederum das Gefühl der Befreiung, das Rosalie erfährt, da sie sich plötzlich nicht mehr zu verstecken braucht.

Die Probleme und auch der eigentliche Plot des Filmes beginnen damit aber erst. Mit psychologischer Präzision und einem durchweg herausragend aufspielenden Cast arbeitet Stéphanie Di Giusto heraus, wann die allgemeine Entzückung erneut in Feindseligkeit umschlägt – und tätigt dabei scharfsinnige Beobachtungen über das Begehren, das sich nun mal nicht gerne an eine enggefasste Sittenlehre hält.

Aus Scham oder Verunsicherung über diese Dissonanz zwischen Anziehung und dem, was angeblich der Anstand verlangt, werden ausgerechnet jene, denen Rosalies einnehmende Lebensfreude und umwerfende Anmut am stärksten imponieren, zu ihren unerbittlichsten Widersachern.

Dass Rosalie sich weiterhin zur Wehr setzt, hat mit der Aussicht darauf, dass sie die Akzeptanz ihrer Person noch erleben wird, und sei es durch die Liebe eines Kindes zu seiner Mutter, zu tun. Ohne in Pathos oder Plattitüden abzugleiten, erzählt Di Giusto so auch vom immensen Wert der Hoffnung, der an Bedeutung für das eigene Überdauern nur noch von der Treue zu sich selbst übertroffen wird. Vielleicht, so suggeriert es „Rosalie“ am Ende, ist das der einzige Zusammenhang, in dem es tatsächlich auf so etwas wie „Bedingungslosigkeit“ ankommt.

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