Die Wahrheit: Nie mehr über sieben Brücken

Ein Hamburger Sprach- und Bau-Guru hübscht das ramponierte Image deutscher Überwege und -gänge auf.

Eine Frau joggt bei Sonnenuntergang über eine Brücke in Frankfurt am Main

Hoffentlich hält das Bauwerk noch bis zur Gesamtquerung Foto: Michael Probst/AP

Eile ist geboten, als der mit Zementblöcken beladene Siebentonner via Köhlbrandbrücke die Elbe in Hamburg überqueren will. Zum Glück rast Tom Cruise mit jedem Bein auf zwei Motorrädern stehend heran. Bevor der verdutzte Trucker am Steuer reagieren kann, hat Cruise die Tür aufgerissen und ist in den Innenraum gehechtet. Durch eine Vollbremsung kann „Ethan Hunt“ den Lkw kurz vor der Auffahrt zur schwankenden Schrägseilbrücke stoppen. Reifen qualmen. Der riesige Sattelzug ächzt.

„Ein bleischwerer Laster, der auf eine marode Wackel-Brücke aus den siebziger Jahren zurast? Mehr Action geht eigentlich gar nicht!“, bescheinigt Zaungast Fiete Petersen den Dreharbeiten zum kommenden Straßenfeger „Mission Impossible: Old Bridge“ ein überdurchschnittliches Maß an Spannung und Nervenkitzel. Als Sprach- und Marktforscher soll der 54-jährige Petersen im Auftrag seiner Kundschaft den Terminus „Brücke“ neu bewerten und nach attraktiveren und weniger belasteten Alternativen suchen.

„Was in Blockbustern prima funktioniert, hat für den Rest der Wirtschaft fast ausnahmslos ruinöses Potenzial“, warnt der vielseitig begabte Akademiker. „Die Brücke als ehemals verbindendes Element ist längst zum Inbegriff von Verfall, Inkompetenz und akuter Lebensgefahr geworden.“

Neue Ortsschilder

Seit dem Einsturz der Dresdener Carolabrücke ist der Allround-Brückenfachmann rund um die Uhr gefragt. „Immer mehr Städte wollen von mir neue Titel für ihre Ortsschilder: Osnabrück, Zweibrücken oder Fürstenfeldbruck werden Sie in der nächsten Auflage des ADAC-Straßenatlas unter anderen Namen suchen müssen. Kommen Sie!“

Der Wortanalyst bricht zu seiner Werbeagentur auf der anderen Seite des Flusses auf. Dafür zerrt er keuchend ein pinkes Schlauchboot aus dem Gebüsch. „Seitdem ich angefangen habe, mich Vollzeit mit dem Thema ‚Brücken‘ zu beschäftigen, fühle ich mich in dieser Gummijolle hier wohler. Außerdem deckt meine Unfallversicherung die meisten Überführungen in und um Hamburg ohnehin nicht mehr ab. Einsteigen, bitte!“

Der Brücken-Guru gibt sich beim Paddeln größte Mühe. Leider werden wir wegen der starken Strömung etliche Kilometer nach Südosten abgetrieben und müssen bis zu Petersens Firmenzentrale in Wilhelmsburg zurücklaufen. Als wir endlich in der futuristischen Schaltzentrale ankommen, ist es schon später Nachmittag. Petersen deutet auf das Gewimmel aus mehreren Dutzend Mitarbeitern, die mit coolen Headsets Videotelefonate führen. Bildschirme flimmern. Es wird klackernd auf Tastaturen gehackt. „Hier nehmen wir Anfragen aus Deutschland und der ganzen Welt entgegen“, erklärt uns der umtriebige Geschäftsmann.

Neue Songtitel

„Heute Morgen haben wir einen Anruf von Paul Simon erhalten. Er hat uns gebeten, ‚Bridge over troubled Water‘ textlich schnellstens an den deutschen Markt anzupassen.“ Für Petersen eine längst überfällige Maßnahme. „Wer will schon bei Hochwasser eine Liaison mit einer rissigen Stahl-Zement-Konstruktion eingehen, die einem womöglich jeden Moment unterm Hintern wegbricht?“

Während das Büro weiter betriebsam brummt, ist es draußen bereits dunkel geworden. Petersen bekommt von einem Nachtschichtmitarbeiter einen Eilbrief ausgehändigt. Wie der Silbenakrobat uns nach dem Lesen berichtet, hat CDU-Boss Friedrich Merz für ein Revival der Kernkraft ein stark verharmlosendes, aber schmissiges Synonym für den mittlerweile verbrannten Ausdruck „Brückentechnologie“ bestellt. Unser Gastgeber holt Schwung und trifft mit dem zusammengeknüllten Wisch gekonnt in einen Papierkorb.

Zum Abschied hat Petersen dann noch ein echtes Bonbon für uns auf Lager. Wir dürfen an einer Live-Schalte mit der katholischen Bischofskonferenz teilnehmen. „Die hofft auf reichlich Zulauf von Berufspendlern, die mangels sicherer Alternativen unbedingt lernen wollen, wie man übers Wasser geht oder schwebend Schluchten überquert“, flüstert Petersen hinter vorgehaltener Hand.

Neue Offenbarungen

Zudem schiele man in Rom auf Taufwillige, die dem immer plausibler wirkenden Narrativ von Brücken als „Blendwerke des Satans“ entgegenhalten wollen. Auf Wunsch des Limburger Bischofs Georg Bätzing, soll sich Petersen daher bis spätestens zum nächsten Kirchentag ein Potpourri an Brücken-Synonymen im Stil der Johannes-Offenbarung einfallen lassen.

Als Fiete Petersen uns nach Ende des Rundgangs in seinem Schlauchboot ans andere Elb­ufer bringen will, lehnen wir dankend ab. Stattdessen wollen wir auf unserem Heimweg lieber den Bus über die Köhlbrandbrücke nehmen. Die von Petersen höchstpersönlich aufgeblasenen Schwimmflügel behalten wir sicherheitshalber an.

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