Kinotipp der Woche: Hüten versus Horten
Mit politischen Dokus wie „Patrol“ und „Goldrausch–Die Geschichte der Treuhand“ machen die Dokumentarfilmtage Let’s Dok Halt in Berlin und Brandenburg.
Gemächlich schiebt sich das Boot mit den sechs Männern zwischen den Ufern des Rio Indio im äußersten Südwesten Nicaraguas hindurch. Präzise erfassen die Männer am Ufer die diversen Versuche von Landnahme im Naturreservat „Indio Maíz“, dem letzten Stück des waldigen Siedlungsgebiets, das den indigenen Rama und den afrostämmigen Kriol geblieben ist.
Doch obwohl Nicaragua das Gebiet 2003 nach langem Kampf zum Naturreservat erklärt hat, versuchen Siedler ununterbrochen Land an sich zu reißen, um darauf lukrative Viehzucht zu betreiben. „Patrol“ von Camilo de Castro Belli und Brad Allgood dokumentiert den Kampf gegen den Landraub im Südwesten Nicaraguas. Er zeigt die mühseligen Streifzüge durch den Tropenwald auf der Suche nach illegalen Siedlern und Viehzüchtern und zeigt zugleich die imposante, erhabene Natur der Region.
Am Samstagnachmittag ist Camilo de Castro Belli nach der Vorführung des Films im Kreuzberger fsk Kino zu einem Filmgespräch vor Ort. Die Veranstaltung ist Teil der Dokumentarfilmtage Let’s Dok. Seit 2020 präsentiert Let’s Dok jährlich bundesweit eine Auswahl gesellschaftlich relevanter Dokumentarfilme der letzten Jahre.
Im Zentrum der Dokumentarfilmtage, die von der Vereinigung AG Dok initiiert und vom Verein zur Förderung der Dokumentarfilmkultur organisiert werden, steht die kollektive Auseinandersetzung mit den Filmen und ihren Macher_innen. Auch in diesem Jahr laufen wieder in über 100 Kinos bundesweit den gesamten September über Dokumentarfilme. In Berlin nehmen neun Kinos teil und in Brandenburg über 20.
Die Treuhand als Holding
Als Menschen in der DDR ab Mitte der 1980er Jahre zunehmend nach Alternativen zum realexistierenden Gouvernantenstaat suchten, fand sich auch die oppositionelle „Freie Forschungsgemeinschaft Selbstorganisation“ in der Berliner Chausseestraße zusammen. Als einige Jahre später die Mauer fiel, entwickelte die Gruppe ein Konzept, wie das Volkseigentum vor SED-Kadern und westdeutschen Spekulanten gleichermaßen bewahrt werden sollte: eine Treuhandstelle sollte Anteilsscheine an die Bürger_innen der DDR ausgeben. Realität wurde die Treuhand dann in ganz anderer Form: als gigantische Holding, die westdeutschen Banken und Unternehmern einen leichten Weg zur Bereicherung bot.
Der Dokumentarfilm „Goldrausch – Die Geschichte der Treuhand“ des letztes Jahr verstorbenen Thomas Plenert versuchte 2012 eine Annäherung an die Treuhand als gigantischen Ausnahmefall, befragt ehemalige Mitarbeiter der Treuhand, Mitarbeiter aus den Bonner Ministerien der Zeit und Bürgerrechtler und Politiker aus dem Osten der Republik. Im Rahmen der Let’s Dok – Dokumentarfilmtage lädt die unabhängige Dokumentarfilminitiative docfilm42 zu einem Online-Filmgespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel.
Es lohnt sich allerdings auch, Let’s Dok vor allem als Angebot vor Ort zu nutzen. Für alle in Berlin ist die Reihe auch als Gelegenheit zu verstehen, die Kinolandschaft in Brandenburg zu entdecken. Eine besondere Empfehlung ist das Programm des Kinos Astoria in Wittstock, das eine Auswahl von Filmen von Volker Koepp zeigt.
Am Donnerstag läuft „Landstück“, der die Landschaft der Uckermark porträtiert, und am Samstag lädt das Kino zu einem Sektempfang aus Anlass von Volker Koepps 80. Geburtstag und um zu feiern, dass der Filmemacher vor unterdessen 50 Jahren seine Langzeitdokumentation zu Wittstock begann. Im Anschluss läuft Koepps Kompilation „Goldene Hochzeit mit Wittstock Filmen“, in der er Ausschnitte aus den Filmen mit bislang nicht verwendetem Material aus dem Umfeld kombiniert. Und nach dem Film folgt noch ein Filmgespräch mit Volker Koepp.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!