Zu hässlich?

Ein Grund für die Volkswagen-Krise ist der schleppende Verkauf von Elektroautos. Liegt es etwa am Design? Ein Pro und Contra

Foto: Volkswagen AG

auf jeden fall!

Wann hat Sie zum letzten Mal eine Fernsehwerbung für ein kommerzielles Produkt emotional berührt? So, dass kurz das taube Gefühl des Alltags verschwand?

Es gibt einen Werbeclip von Volkswagen aus diesem Jahr, zur Feier des 50. Geburtstags des Golf. Zu Beginn steigt eine junge Frau mit Schlaghosen in den ersten Golf, es ist 1974. Dann verfolgen wir den Golf und die Frau auf ihrer Reise bis in die Gegenwart. Sie fährt an den Strand, küsst auf der Rückbank, wird schwanger, ihre Tochter lernt Auto fahren – jede Lebensstation im jeweils aktuellen Golf. Am Ende steigt die Tochter in das neueste Modell. Green Day singen dazu: „I hope you had the time of your life.“

Danke, hatten wir! Ist schließlich ein tolles Auto, der Golf. Und das hat nicht nur mit Nostalgie zu tun, sondern mit Ästhetik. Der Golf strahlt aus, wie ein Deutscher sich sieht: Eleganz durch Strebsamkeit, Leistung ohne Protz, Verlässlichkeit. Das war natürlich immer schon Selbstbetrug. Aber wofür kauft man Produkte, wenn nicht, um sich selbst zu betrügen?

Um die VW-Misere zu erklären, muss man – nicht nur, aber auch – über Schönheit sprechen. Die Elektroautos von VW sind keine Klassiker wie der Bulli, der Polo, der Käfer – sie sind hässlich. Die Felgen sehen angeberisch futuristisch aus, die Front aus Vorderlicht und Kühlergrill ist auf plumpe Art aggressiv. Große Klappe, wenig dahinter. Das Material fühlt sich billig an.

Dabei ist es doch möglich, ein Elektroauto mit Understatement zu bauen, schauen Sie sich mal den Renault Zoe an! VW hat übrigens längst den Designer gefeuert, der für den ID.3 verantwortlich ist, und will nachbessern. 2026 soll der ID.2 auf den Markt kommen. Wie der aussieht? Fast so wie ein Golf oder Polo. Kersten Augustin

im gegenteil!

Mein erstes E-Auto war ein ID.3 – allerdings nur temporär. Als das Modell im Jahr 2020 herauskam, wurde es in der Flotte eines in Berlin aktiven Carsharinganbieters eingesetzt. Ich bewege mich fast ausschließlich mit dem Fahrrad durch die Stadt und kann mir ein Leben ohne Rad nicht vorstellen. Aber auch in der Stadt ist das Auto hin und wieder das Mittel der Wahl, um Dinge oder Passagiere zu transportieren, und ich fahre gern damit.

Der ID.3 hatte mich sofort. Zwar war er wie fast alle Autos, die heutzutage die Montagehalle verlassen, etwas zu rund, aber das machte er durch das Heck locker wett. Das Dach des Wagens war leicht über die Rückscheibe hinaus verlängert. Ob es sich hier um so was wie einen Spoiler handelte oder einer ästhetischen Entscheidung geschuldet war – ich weiß es nicht.

Dieses Detail gab dem Auto jedenfalls eine Anmutung von Kantigkeit, die fast allen Autos in den späten Siebzigern und frühen Achtzigern eigen war. Auch dem oft gepriesenen VW Golf, der heute so scheußlich aussieht wie fast alle Autos, die man auf der Straße sieht.

Der ID.3 katapultierte mich in ein neues Zeitalter der Automobilität. Er schien eher ein Roboter als ein Auto zu sein, denn er wurde nicht über einen Knüppel geschaltet, sondern einen eher filigranen Schalter neben dem Lenkrad. Die dabei vom Piloten geforderte Feinmotorik stand in krassem Gegensatz zum Schub, den der an der hinteren Achse sitzende Elek­tro­motor erzeugte.

Der Wagen ging, wenn nötig, ab wie eine Rakete, beschleunigte innerhalb von weniger als acht Sekunden von 0 auf 100 km/h – und gab dabei nur ein wohl gestimmtes Summen von sich. Dereinst werden wir auf den ID.3 blicken wie die Nostalgiker von heute auf den frühen Golf. Ulrich Gutmair