Demonstrationen am Wahlsonntag: Antifaschistische Flutschfinger

In Erfurt und Dresden demonstrieren mehrere Hundert Menschen gegen die AfD. Sie wollen sich gegenseitig Mut machen, doch die Ernüchterung ist spürbar.

Dem­non­stran­t:in­nen in Erfurt am Sonntagabend Foto: Christian Mang/rtr

ERFURT/DRESDEN taz | Die Sonne scheint an diesem Sonntag auf den Theaterplatz in Dresden. Eine Bühne ist aufgebaut, daneben ein großer Bildschirm und Musik kommt aus den Boxen der Bühne. Eine Frau steht alleine vor der Bühne und tanzt. Hier könnte ein sommerliches Public Viewing für ein Fußballspiel stattfinden. Und ein Public Viewing ist es wirklich – nur keines für den Sport, sondern für die „Qualergebnisse dieser Landtagswahlen“, wie die Initiative „Herz statt Hetze“ es formuliert.

Zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen hat das Bündnis hierher eingeladen. „Wir möchten einen Raum für Gemeinschaft und Zusammenhalt bieten, damit niemand das alleine erleben muss“, sagt Tristian Runge, Mitinitiator der Initiative „Taktisch Wählen“.

Rund 1.000 Menschen erwartet die Polizei am Nachmittag in Dresden, sagt ein Sprecher der taz vor der Veranstaltung. Bis 19:30 Uhr werden es lange nicht so viele sein.

Auch in Erfurt versammeln sich am Nachmittag einige Hundert Leute zu einer Demo, organisiert vom Bündnis „Auf die Plätze“. Rund 550 Teil­neh­me­r*in­nen zählt die Polizei vor dem Thüringer Landtag. Am frühen Abend werden sie weiter ziehen, in der Erfurter Innenstadt gerät zeitweise der Nahverkehr durcheinander.

Solidaritätsappelle in Dresden

In Dresden füllt sich der Theaterplatz am Nachmittag nur langsam. Ein paar Neugierige nähern sich der Bühne. Als erste spricht Rita Kunert von „Herz statt Hetze“. Sie erinnert daran, dass heute vor 85 Jahren Deutschland das benachbarte Polen überfallen hat. Heute stünden wir an einem Punkt, an dem eine rechtsextreme Partei das Gleiche predigt, was damals gepredigt wurde. „Wir müssen aufeinander aufpassen in den nächsten fünf Jahren. Solidarität ist das Wichtigste“, sagt sie mit brüchiger Stimme.

Als die ersten Wahlergebnisse über den Bildschirm laufen, ist die Stimmung angespannt. Ein Sprecher von „Herz gegen Hetze“ spricht noch eine Triggerwarnung aus: Die ersten Zahlen könnten die schlimmsten sein, denn erst würden kleinere Orte ausgezählt, in denen die AfD stärker ist. Die größeren Städte kommen erst später.

Als das vorläufige Ergebnis der Linken auf dem Bildschirm erscheint, schütteln viele enttäuscht die Köpfe – die Linke landet bei unter fünf Prozent. „Es war abzusehen, dass es so kommt, aber ich bin trotzdem erschüttert“, sagt eine Frau. Etwas Erleichterung zieht auf, als der Balken der Grünen bei 5,5 Prozent stehen bleibt. Die Menschen auf dem Platz klatschen. Auch die Nachricht, dass die AfD in Sachsen wahrscheinlich nicht stärkste Kraft wird, ruft verhaltenes Klatschen hervor.

Einige Menschen haben sich Decken zum Sitzen und ein kleines Picknick mitgebracht. Die Altersgruppen sind durchgemischt, viele ältere Menschen sind da, aber auch Eltern mit kleinen Kindern und Jugendliche, die „Kein Mensch ist illegal“-Banner halten. Manche wippen zum Takt und lachen. Die Stimmung wirkt vorsichtig ausgelassen, aber die Bedrückung ist doch spürbar. „Ich wollte das Ergebnis heute lieber unter Gleichgesinnten sehen“, sagt ein Mann der taz.

Antifaschistisches Eis in Erfurt

Hinter dem Thüringer Landtag steht ein etwa drei Meter großer Papp-Flutschfinger. Darauf steht in Großbuchstaben „Nein zu Nazis“. Den Eis-Aufsteller, der zugleich einen erhobenen Zeigefinger darstellt, hat die Kampagnenorganisation Campact mitgebracht. Die Organisation hat zu einer Demo aufgerufen und verteilt am Sonntagnachmittag kostenloses „antifaschistisches Eis“. Auch das antifaschistische Bündnis Auf die Plätze, zu dem unter anderem die Omas gegen Rechts gehören, veranstaltet hier, direkt neben dem von Metallgittern und Po­li­zis­t*in­nen umzingelten Landtag, eine Demo. Die beiden Vereine teilen sich ein kleines Podest als Bühne.

Am Nachmittag sammeln sich nach und nach Menschen auf der Straße hinter dem Landtag und der angrenzenden Wiese. Einige haben pink-grünen AfD-Verbotsschildern dabei. Auf einem Banner steht: „faschistische Allianzen verhindern.“

Lara Eckstein ist Campaignerin bei Campact. Am Sonntagnachmittag sagt sie der taz, dass es eine mediale Fokussierung auf Höcke gebe: „Und so schrecklich die Ergebnisse heute Abend sein werden, so wichtig ist es, zu zeigen, dass es hier in Thüringen und auch in Sachsen eine demokratische Mehrheit gibt.“ Eckstein sagt, heute am Landtag zu demonstrieren, sei für sie wichtig: „Das ist ein aufgeladener Ort, wenn wir an den ‚Kemmerich-Moment‘ zurückdenken.“ Nach der Wahl 2019 war Thomas Kemmerich (FDP) mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsident gewählt worden.

Aktive Omas gegen Rechts

Unter den Demonstrierenden sind mehrere Omas gegen Rechts. Roswitha Montag ist eine von ihnen. Montag erzählt der taz, dass sie gemeinsam mit anderen Omas und Opas in den vergangenen Wochen auf zahlreichen Demos gewesen sei: „Gemeinschaft gibt Stärke, Austausch und Zusammenhalt“, sagt sie. Es sei wichtig, heute etwas dagegenzuhalten. „Wir hoffen bis zur letzten Minute, dass Höcke es nicht schafft. Aber so oder so: Wir geben nicht auf!“, so Montag. „Es macht mir Hoffnung, dass sich viele andere auch gegen rechts stellen.“

Richard Gleitsmann engagiert sich beim Verein Erfurt Pride e.V., der unter anderem den CSD organisiert. Er hat Angst, dass, wenn die AfD eine Sperrminorität erreiche, sie die Arbeit der Regierung behindern würde: „Wir sind als CSD auf die Fördermittel angewiesen. Je mehr Macht die AfD hat, desto schwieriger wird es für uns“, sagt Gleitsmann.

Kurz nach 18 Uhr steigt Lara Eckstein auf das Podest. Sie liest die ersten Prognosen der Wahl in Thüringen vor: „Die AfD ist nach jetzigen Zahlen die stärkste Kraft in Thüringen.“ Ein Buhen geht durch das Publikum. „Es ist richtig, richtig scheiße“, ruft Eckstein. „Aber es ist möglich, eine demokratische Koalition gegen die AfD zu bilden.“ Eckstein liest die Ergebnisse der übrigen Parteien vor. Im Anschluss ruft die Menge: „Alle zusammen gegen den Faschismus. Alle zusammen gegen den Faschismus.“

Jan Walther engagiert sich bei Auf die Plätze und hat die Demonstration des Bündnisses mitorganisiert. Er betont, wie wichtig es sei, mit den Wahlergebnissen nicht allein zu Hause zu sein: „Wir haben in den vergangenen Wochen mit vielen Menschen gesprochen, die besonders unter der Politik der AfD leiden würden. Es ist wichtig, besonders heute Solidarität mit diesem Menschen zu sein“, sagt Walther.

Neue Demos angekündigt

In den nächsten Wochen wolle Walther gemeinsam mit dem Bündnis beobachten, was passiere: „Wenn die demokratischen Parteien mit der AfD kooperieren sollte, dann werden wir wieder auf die Straße gehen“, sagt Walther.

Die Abendsonne scheint auf den Asphalt hinter dem Landtag: Auf der kleinen Bühne steht eine junge Frau: „Wehrt euch, leistet Widerstand, gegen den Faschismus hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden“, stimmt sie an. Einige im Publikum steigen ein. Gegen 19 Uhr beginnt eine weitere Demo. Die meisten Demonstrierenden erheben sich nach und nach von der Wiese, schließen sich dem Umzug durch die Stadt an.

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