: Campen ist ein Gedicht
Erst spät entdeckte unsere Autorin das Glück des Radfahr-und-Zelturlaubs. Nun genießt sie es umso mehr, das Reisen zwischen Sonnenaufgängen und Waschräumen, mit Trockensalami und tanzenden Skorpionen
Von Du Pham
Ich war als Kind nur einmal campen
mit meinem Vater, seiner neuen Frau, meinem Bruder, unserem einjährig neuem Halbbruder
irgendwo in Spanien.
Wir Kinder hatten ein Zelt für uns allein.
Ich erinnere mich nicht an mehr.
Nur an das, was Fotografien suggerieren, was Erinnerungen sein könnten.
In meiner echten Kindheit gab es kein Camping.
Wir hatten weder Auto noch Produkte, die in irgendeiner Form funktional waren.
Wenn wir mal ein Auto organisiert bekommen haben,sind wir nachts los nach Paris, ins 13. Arrondissement.
Dort kaufte meine Mutter mit der größtvorstellbaren Zuneigung Kräuter, Bücher, Zeitschriften.
Den Eiffelturm sahen wir dabei nie.
Weil ich nie ein Festival besucht habe, erreichte ich ungecampt meine 30er.
Dann der Lieblingsjunge, ein französisches Rennrad namens Monsieur, zwei Wochen Frankreich und mein erster richtiger Campingurlaub.
Wie ich es gelernt habe, besaß ich nichts Funktionales.
Das kleine Zelt des Jungen sollte unsere frische Liebe nur mehr zusammenschweißen.
Unser Schweiß im Zelt an der Côte d’Azur.
Die lauernden Moskitos zwingen die Reißverschlüsse,
verschlossen zu bleiben.
Sollten unsere Häute Kontakt aufnehmen, könnten wir statt Liebe Klebreis produzieren.
Es sind viele Jahre, Fahrräder, Reisen, Campingplätze vergangen.
Viele unfassbar, viele entzückend, zwischen Lavendelfeldern,
unter Weinlauben, an den Füßen diverser Gebirgsketten.
Erquickend durch Eselsrufe, tanzende Skorpione, lustige Schafsfamilienkonstellationen, Pommes mit Chèvre, jede Menge Pichet de vin rosé, Folklore in den Ohren.
Und manchmal, da saßen wir mit Dosenbier in den Waschräumen und luden Telefone und Fahrradlichter.
Es war Pre-Powerbank, die Radfahrtarife ohne Strom billiger.
Zu den Zeiten navigierten wir uns analog via Michelin,
eingeschmiert mit Antibrumm.
Gesichter fahl, Körper schmerzen.
Weiße Monster, in der Dämmerung noch mächtiger.
Auf Campingplätzen wird es immer sehr früh sehr dunkel.
Ab 22 Uhr legt sich eine absolute Stille über den Platz,
sie hat etwas Vertrauliches, Beruhigendes.
Viel Himmel, leises Flackern aus den kleinen Behausungen, die minimale Privatsphäre versprechen.
Zirpen der Grillen, abgelöschter Grillduft,
hier und da Quietschen von Luftmatratzen.
Und manchmal da macht es Chuc-chuc,
das elektronische Schließsystem des Autos.
Manchmal macht es auch Tooock,
das Zuschmeißen der Autotür.
Und noch mal und noch mal und noch mal.
Wenn es sehr heiß wird, packen wir im Morgengrauen zusammen, schleichen vom Platz,wollen niemanden wecken, werden mit Sonnenaufgang belohnt
für uns alleine, beim ersten Kaffee haben wir zwei Stunden Pedalieren hinter uns.
Wir haben alles, was wir brauchen, bei uns, an uns.
Manchmal leihen wir uns einen Flaschenöffner,
manchmal behaupten wir, wir hätten vergessen, Toilettenpapier einzukaufen,
und manchmal fragen wir, ob wir einen Tropfen Spülmittel haben könnten.
Da die Sardinen doch fettiger waren, wir nur eine Tupperdose, ein saarländisches Schneidebrett, drei Taschenmesser, zwei Göffel, zwei Becher als Küchenutensilien bei uns haben.
Wenn es nicht so heiß ist, schlafen wir aus, sind dennoch kurz nach Sonnenaufgang wach.
Wenn es eine Wiese gibt, ist sie noch feucht, erweckt Lätta-Werbung zum Leben.
Wenn jemand Kaffee kocht, duftet es nach Zuhause.
Manchmal regnet es und wir müssen unser Zelt nass einpacken.
Manchmal werden wir dabei sehr nass und manchmal finden wir zusammengepackt
Unterschlupf in den Waschräumen.
Waschräume, die die Wohlfühloase Bad im Eigenheim ersetzen sollen, wollen.
Doch Campingtoiletten sind nicht wie Restauranttoiletten.
Sie sind wie die in REs oder Rastplätzen.
Während die weißen Monster-Unimogs-VW-Busse absolut akkurat stehen, die Stühle unterm Tisch geparkt, die Handtücher nach Größe aufgehangen, immer sofort nach dem Essen gespült, alles Ordnung und Sauberkeit versprüht,
wecken die Waschräume den Wunsch nach Sterben.
Haare, Nasenschnodder, Schminkreste in den Waschbecken.
Bremsspuren, Würste, Toilettenpapiermassaker hinter jeder möglichen Tür.
Alles, ausnahmslos alles ist nass, alles erinnert an Mensch.
Die Zeit in Waschräumen haben wir perfekt minimalisiert.
Vom Augenaufschlag bis zum ersten Pedaltritt benötigen wir eine Dreiviertelstunde.
Während wir acht Stunden auf unseren Rädern beinahe alleine in der Natur verbringen,
hin und wieder von einem Monster geschnitten und scharf überholt werden,
einem umgebauten Unimog-VW-Bus mit Schriftzug,
treffen wir auf Kühe, Wildschweine, Rehe,
einsame Flüsse, Meere, Seen.
Tauchen, kühlen ab,
picknicken auf Mauern, die uns vorm Abgrund schützen, Aprikosen, Trockensalami, Haribo.
Füllen unsere Flaschen mit köstlichstem Brunnenwasser
und wenn
die Beine staubiger, die Hintern wunder, die Nahrungsmittel Einwegtütenketchup werden,
überkommt uns eine kleine Vorfreude auf den nächsten Campingplatz.
Manchmal sind sie so raffiniert angelegt,
dass erwähnte Fahrzeuge keinen Platz finden.
Keine Rezeption, kein Restaurant, kein Pool, kein WLAN.
Manchmal passiert es, dass ich dabei auf den Naturstufen ausrutsche, Heringe nur mit einem Felsen in den Boden wollen, Duschen abgeschlossen sind und ich mit der Natur konfrontiert werde, wenn ich sie gerade nicht möchte.
Manchmal sind es nur wenige Millimeter, Sekunden zwischen bodenständiger Zuneigung und verwöhnter Abneigung.
Seit einigen Nächten schlafe ich auf meiner harten Matratze.
Seit einigen Tagen bearbeite ich Sendungen mit Titeln wie Was brauche ich für einen Camping-Trip?, Der perfekte Wohnwagen oder Mit dem Unimog nach Schweden.
Heimlich freue ich mich darauf, dass es wieder losgeht und der Lieblingsjunge mir verrät, welche Toilettentür ich öffnen kann.
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