berliner szenen: Den Sommer sacken lassen
Regen. Zum Glück Regen. Ich fahre über die Heerstraße zu den Tiefwerder Wiesen, will nach den Tieren schauen, den Wasserbüffeln, Schafen, Burenziegen – und den ersten Herbstfarben. Das herausgefallene Beifahrerfenster hatte mir in der Hitzewelle nicht eine Sekunde gefehlt. Doch jetzt habe ich es abgeklebt mit transparentem Paketband. Nicht nur die Sonne ist heute verschwunden, sondern auch etwa 15 Grad Celsius – und damit vermutlich auch der Sommer. Dafür begrüßt mich in Tiefwerder schon beim Aussteigen reinstgewaschene Luft, zum Durchatmen einladend. Und Hagebutte, Waldrebe, der Geruch des nassen Walnussbaums, des Hopfens. Ich marschiere auf der Holzbrücke über einen kleinen Havelarm zu den Wiesen. Die Schafe, die während der flirrend dürren Tage kaum sichtbar waren, weil sie sich zusammengerottet hatten, unter den nur wenig Schatten spendenden Bäumen, stehen jetzt aufgereiht vor mir im Gras. Regungslos, ohne auch nur mit einem Öhrchen zu zucken, lassen sie sich vom Regen begießen, beprasseln, durchweichen. Lassen sich dankbar die wundgescheuerten Mückenstiche auf Gesicht und Beinen kühlen. Mir ist, als wollten sie sich bis in die Knochen hinein mit Flüssigkeit und Kühle vollsaugen. Andere Spaziergänger bleiben wie ich am Zaun stehen und begucken mit ihren triefenden Regenschirmen die Tiere. Der Anblick der Herde verhilft uns dazu, den Sommer sacken zu lassen. Nach einer Stunde kehre ich zurück von meinem Rundgang und sehe die Schafe in derselben Anordnung wie zuvor, wie die Holztierchen eines Spielzeugbauernhofes. Inzwischen weist ihre Wollmontur batikartige Wasserflecken auf, allmählich hat sich das Fell mit Wasser vollgesogen, ist schwer geworden. Nach einem Weilchen sind sie verschwunden. Haben sich sattgetränkt. Felix Primus
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