berliner szenen: Freikörper-Kultur in Halensee
Ich mache immerchen mein Schwimmerchen im Wässerchen, dort ist es so schön nässerchen“, höre ich eine männliche Stimme sagen. Ich drehe mich um. Der 75-jährige Nackedei, dem die Stimme gehört, fährt fort: „Nass und nass auf mein schönes Fass.“ Er grinst: „Ich reime besser als Goethe – ich habe nämlich überlebt.“ Ich reagiere nicht. Er ruft: „Warum fragst du nicht?“ Ich springe kommentarlos ins Wasser und schwimme bis zur Mitte des Sees. Eigentlich wollte ich auf die Strandbad-Seite des Halensees gehen. Doch das Strandbad hat wegen Umbauarbeiten den gesamten Sommer geschlossen. Blieb nur, zu einem anderen See fahren. Oder mit der FKK-Seite leben. Von Weitem beobachte ich, wie der Reimende andere anspricht.
Zurück auf der Wiese suche ich mir einen Platz zwischen zwei Frauen mit Kindern und döse. Eine Frauenstimme reißt mich aus meinen Tagträumen. Sie klingt wütend. Ich verstehe nur: „Das Handy!“, öffne die Augen und schiele rüber. Die Stimme gehört einer der Mütter. Ihre Tochter ist gerade dabei, sich anzuziehen. Der Mann, dessen Handy sie augenscheinlich haben möchte, ist um die 60, trägt eine gelbe Badehose und sieht sonst unauffällig aus. Er blickt die Frau an, als verstünde er kein Wort. Ein weiterer Mann kommt hinzu, am Körper nichts als Sandalen und eine Brille. Er stellt sich neben die Mutter und sagt in drohendem Ton zu dem Mann: „Stell dich nicht dumm. Ich habe gesehen, wie du das Mädchen gefilmt hast!“ Er nimmt dem Badehosen-Träger sein Handy ab und scrollt eine Weile: „Da haben wir es ja. Ich lösche es jetzt. Wo ist der Papierkorb.“ Der gelbe Badehosenträger verzieht keine Miene. Der andere funkelt ihn an: „Fremde heimlich zu filmen ist verboten. Und Kinder nackt filmen strafbar.“ Das Mädchen kommt angezogen dazu und fragt: „Mama, was ist hier los?“ Eva-Lena Lörzer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen