Die Freundschaftsfamilie: Co-Parenting
Seit acht Jahren sind Teresa und Flo eng miteinander befreundet. Er ist schwul, sie single. Sie bekommen ein Kind. Wie sieht ihr Leben jetzt aus?
E rschöpft lässt sich Teresa Trabert auf das Sofa in der Küche fallen und hüllt sich in eine Decke ein. Ihr Sohn, anderthalb Jahre alt, ist gerade eingeschlafen. Es ist halb acht an einem Abend im April, eine Wohnung in Rostock. Florian Kasch räumt Besteck in die Spülmaschine ein. Seit knapp zwei Jahren wohnen die beiden zusammen in einer WG. Er schrubbt mit der Bürste über Schüsseln, mit dem Lappen wischt er über den Tisch. Dann sinkt auch Florian auf das Sofa, reibt sich die Augen. Teresa gähnt. Sie umklammert ihre Teetasse.
Teresa Trabert, 35, und Florian Kasch, 32, haben sich vor vier Jahren entschieden, zusammen Eltern zu werden – als Freunde und Co-Eltern. Sie haben ohne romantische Beziehung ein Kind zusammen bekommen und wollen es gemeinsam aufziehen. Co-Parenting nennen Soziologen, was Trabert und Kasch leben. Obwohl es keine einheitliche und genaue Definition in der Wissenschaft gibt, beschreibt Co-Parenting oft das Elternsein als eine Beziehung von zwei oder mehr Menschen, die eine Familie gründen, sich aber nicht lieben und nicht als Paar miteinander leben. Egal, welches Geschlecht die Eltern haben oder welche sexuelle Orientierung. Florian, Teresa und ich kennen uns seit drei, vier Jahren, sind lose befreundet. Beide werden deshalb in diesem Text auch bei ihren Vornamen genannt. Heute besuche ich sie aber als Journalistin, will über ihr Elternmodell berichten.
Als erstes blicken wir zurück auf den Sommer von vor vier Jahren. Wir spielen ein Kartenspiel, das sie auch damals gespielt haben. Eine Freundin hatte das Spiel für sie gebastelt, Dutzende Aussagen überlegt und auf Kärtchen gedruckt. Dazu ein Block mit Herzen. Stimmten Florian und Teresa den Aussagen beide zu, sammelten sie Herzen. Je mehr gemeinsame Herzen, desto sicherer schien die Entscheidung für ein Kind.
Nun spielen wir eine Neuauflage des Spiels. Ich will wissen, was sich verändert hat, seitdem die beiden Eltern geworden sind. Teresa zieht eine Karte. Liest vor: „Ich bin bereit – so beides unvereinbar ist –, das Wohl des Familienzusammenhalts im Zweifel über eine Liebesbeziehung zu stellen.“ Diese Karte haben sie damals schon gezogen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Florian scherzt: „Ich erinnere mich. Es ging vor allem darum, was passiert, wenn jemand von uns wegzieht. Wenn ich zum Beispiel einen heißen Boy auf dem CSD in Berlin aufgabele und zu ihm ziehe.“
Teresa lacht.
Florian: „Ich weiß, was wir geantwortet haben. Das wäre unvereinbar, wenn die Partner, in die wir uns verlieben, keinen Bock auf unser Familienmodell haben. Aber in solche Typen würden wir uns nicht verlieben.“
Teresa: „Genau, oder wir lassen sie nicht weiter in unser Leben, sondern nur die, die für unser Familienmodell offen sind.“
Florian: „Ja, aber ein neuer Partner würde auf jeden Fall Veränderungen mit sich bringen, für uns als Familie.“
Teresa: „Und so war es ja auch, als du vor ein paar Monaten mit Karl eine Romanze hattest. Da war dieser Hauch der Veränderung. Da war ja diese Freude und gleichzeitig ein Loslassen von dem, was zwischen uns ist.“
Es gibt wenige Wissenschaftler:innen im deutschen Raum, die zu Co-Parenting forschen, eine davon ist die Soziologin Christine Wimbauer an der Humboldt-Universität Berlin. In ihrem Buch „Co-Parenting und die Zukunft der Liebe“ fragt Wimbauer, ob die romantische Liebe überhaupt noch notwendig dafür sei, ein glückliches und gelungenes Familienleben zu führen. Oder ob nicht andere Werte wichtig seien, die eine bewusst geplante Co-Elternschaft bieten könne: Verlässlichkeit, Verantwortung, Zuneigung zueinander. Vielleicht sogar im bewussten Gegensatz zur unbeständigen und unvernünftigen Paarliebe.
Denn die Hälfte der Ehepaare in Deutschland, die sich scheiden lassen, haben minderjährige Kinder. Kann also eine Co-Elternschaft, wie Teresa und Florian sie leben, ein einfacher, auch schmerzfreierer Weg sein? Und kann das Modell auch für unfreiwillige Singles eine Chance sein, eine Familie zu gründen? Können wir von Co-Eltern wie Flo und Teresa lernen? Oder bröckeln auch Freundschaften, ächzen sie unter der Last des Elternseins?
Seelenverwandtschaft
Teresa und Florian lernen sich 2016 kennen. Teresa arbeitet als Event- und Projektmanagerin, hat in Rostock ein Kreativquartier mitbegründet. Sie läuft auf fast jeder Demo für das Klima oder gegen Rechtsextremismus mit und trägt zu ihrem Pixie-Haarschnitt immer Ohrringe und Ketten. Wenn sie sich mit Freund:innen in Gespräche vertieft, fühlt sie sich immer tief ein, hört genau zu. Als Florian sich als Praktikant in ihrem Büro bewirbt, freunden sie sich an. Er ist freier Illustrator, unterrichtet heute an einer Berufsschule. Er ist über zwei Meter groß. Florian macht gern Späße; wenn er auf Spielplätzen herumhängt, kann er so mit seinen Lippen flattern, dass sie wie Trompeten klingen und die Kinder darüber lachen.
Als sie eine gemeinsame Freundin besuchen, fegt diese ihren Kindern nach dem Abendbrot hinterher, Florian und Teresa räumen das Geschirr ab. Die Freundin sagt im Vorbeiflitzen: „Ihr könntet auch ein Kind zusammen haben, so gut, wie ihr harmoniert.“
Florian und Teresa schauen sich an. Stille. Teresa sagt: „Warum fühlt sich das jetzt nicht komisch an?“ So erinnern sie sich an diesen Abend und bald wächst in ihnen die Idee heran, ein Kind zusammen zu bekommen.
Wenige Monate später, im Winter 2020, bastelt dieselbe Freundin ihnen das Kartenspiel, das sie in ihrem Wunsch bestärkt. In dem Spiel werden sie gefragt, ob sie ihre eigenen Bedürfnisse für die Familie zurückstellen, berufliche Chancen sausen lassen würden oder wie und ob sie zusammenwohnen wollen würden.
An Weihnachten geben sie sich das „Ja-Wort“, so sagt es Teresa heute scherzhaft. Sie fragen sich: Wollen wir Sex miteinander haben? Und schütteln sich. Nee. Eine Kinderwunschklinik, die Teresa Florians Sperma einsetzt, kommt vorerst nicht in Frage. Sie entscheiden sich für die Bechermethode.
Praktische Wege zum Kind
Wenn Menschen sich ein Kind wünschen, das aber nicht durch Penetrationssex natürlich geschehen kann oder soll, können sie verschiedene Wege gehen: Es gibt Solo-Mütter, die mit einer Samenspende schwanger werden, im Rahmen einer medizinischen Kinderwunschbehandlung. Es gibt Paare, die Kinder adoptieren. Manche werden Pflegeeltern, andere suchen sich im Ausland eine Leihmutter, die ein Kind für das Paar austrägt. Alleinstehende oder homosexuelle Paare können inzwischen online nach einem Mitglied zur Familiengründung suchen, wenn sie niemanden im Bekanntenkreis finden. Auf wenigen Plattformen im Internet können sich Menschen mit Kinderwunsch kennenlernen und freundschaftlich daten. Und dann gibt es: die Heiminsemination. Die private Samenspende.
Teresa erinnert sich. „Wir haben es uns in meiner Wohnung nett gemacht, jeder mit sich selbst. Flo war im Wohnzimmer, ich in meinem Schlafzimmer. Dann kam er rein mit dem Becher. Und ich habe die Beine an die Wand nach oben gelegt und mit der Spritze das Sperma vaginal eingeführt.“
Danach kuscheln beide miteinander. Gucken Filme. Quatschen. Beim vierten Mal klappt’s. Teresa ist schwanger.
Verantwortung übernehmen
Beide, Florian und Teresa, sind jeweils mit vier Geschwistern aufgewachsen. Teresa im Saarland, Florian in Vorpommern. Als ich Teresa bei einem Gespräch einmal danach frage, was Familie für sie bedeutet, sagt sie: „Unsere engen Freundinnen betrachten wir auch als Familie. Das ist etwas anderes als die Familie, in der ich groß geworden bin, aber ich weiß, die sind genauso da.“
Ich hake nach: „Aber wenn du über Familie und Verantwortung sprichst, übernehmen eure Freund:innen auch Verantwortung für euer Kind?“
Teresa: „Nicht so, wie ich es mir wünschen würde.“
Florian, Teresa und ihr Kind – sie sind die Kernfamilie. Auch Florian empfindet das so. „Wer kann das als schwuler Mann schon so sagen. Klar, es gibt die queeren Drag-Familien, die zusammengewürfelten Freundeskreise, die sich als Familie sehen, weil sie zum Beispiel bei ihren leiblichen Familien rausgeflogen sind oder nicht erwünscht sind, weil sie eben queer sind. Meine Familie supportet mich, und trotzdem habe ich auch den Wunsch, ein Zuhause zu haben. Teresa und unser Kind sind gerade mein Zuhause, und das ist ein schönes Gefühl.“
Pläne für das „kleine Sorgerecht“
Familien heute sehen unterschiedlich aus. Das Bundesfamilienministerium schätzt, dass etwa 10.000 Regenbogenfamilien mit Kindern in Deutschland leben. Das Ministerium definiert diese als Familien aus gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern. Alle anderen Familienmodelle – auch das Co-Parenting – erfasst die Behörde nicht. Um es diesen Menschen rechtlich einfacher zu machen, startete das Bundesjustizministerium Anfang dieses Jahres eine Offensive. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) veröffentlichte ein Papier, das das Familienrecht in Teilen ändern soll. Er schlägt unter anderen ein „kleines Sorgerecht“ vor, bei dem die Eltern in Zukunft bis zu zwei weiteren Personen sorgerechtliche Befugnisse einräumen können. Das wären zum Beispiel neue Partner:innen von Florian und Teresa. Bisher teilen sich beide das Sorgerecht.
Allerdings schreibt das Ministerium auch: „An bewährten Grundsätzen des geltenden Rechts werden wir dabei festhalten: Auch künftig wird die Frau, die das Kind geboren hat, immer Mutter des Kindes sein. Und auch künftig gilt: Ein Kind kann nur zwei rechtliche Eltern haben.“ Wie diese Offensive weitergeht, ist aktuell unklar.
Dass das Modell der Co-Elternschaft außergewöhnlich ist, merkt Teresa schon in der Schwangerschaft. In Rostock, der einzigen Großstadt in Mecklenburg-Vorpommern, findet sie kaum eine Veranstaltung, kaum ein Angebot zu dem Thema. Überhaupt: Offizielle Zahlen oder Statistiken, wie viele Co-Eltern in Deutschland leben, werden aktuell nicht erhoben. Bis Teresa im Frühjahr 2022 auf eine Lesung zum Thema Feministische Elternschaft in einem Rostocker Kulturhaus stößt. Dort betritt sie einen Seminarraum mit leeren Stuhlreihen. Nur die Referentin, die das Buch vorstellt, und zwei Studierende der Gender Studies sind gekommen. Teresa erzählt von dem Abend. Sie habe irgendwann preisgegeben, warum und in welcher Rolle sie da sei: als schwangere Co-Mutter.
Es prasseln Fragen auf Teresa ein. Sie fühlt sich wie ein Versuchskaninchen. Warum entscheiden sich Menschen dafür? Gibt es Studien darüber, wie es den Kindern damit geht? Was ist, wenn sich eine Person verliebt? Die Referentin habe keine Antworten auf die Fragen gehabt. Teresa habe nur von Dokumentationen im Fernsehen berichten können, die sie gesehen habe: „Ich habe da gelernt, dass es am Ende nicht darum geht, in welchem Familiensystem ein Kind aufwächst. Sondern entscheidend ist, dass da Menschen sind, die es lieben. Egal, wie viele Personen es sind.“
Kein Austausch mit Gleichgesinnten
Eigentlich hatte Teresa sich an diesem Abend gewünscht, offen über ihre Gedanken zu sprechen. So ein Austausch fehlt ihr bis heute. Ob und wie sich Co-Parenting auf Kinder auswirkt, ist nicht bis kaum erforscht. Es gibt allerdings Wissen darüber, wie sich Kinder, die durch Samenspende gezeugt wurden, entwickeln – egal in welcher Familienkonstellation. Das Bundesministerium für Familien weist darauf hin, dass sich diese Kinder in der Entwicklung nicht von natürlich gezeugten Kindern unterschieden. Das zeigten wissenschaftliche Studien. So hat sich etwa Susan Golombok, Professorin für Familienforschung an der Universität Cambridge, jahrzehntelang mit neuen Familienformen beschäftigt, mit lesbischen und schwulen Familien, mit Eizellenspenden, Solo-Müttern, Leihmüttern. In einer Längsschnittstudie aus dem Jahr 2023 fragte sie: Wie geht es Müttern und ihren Kindern, die mit Hilfe Dritter gezeugt wurden? Wie gut ist deren Beziehung?
Das Team um Golombok führte über mehrere Jahre hinweg Interviews mit den Müttern und ihren Kindern durch, ließ sie Fragebögen ausfüllen, um Daten über deren Wohlbefinden zu sammeln. Das Ergebnis: Die Bindungen und Beziehungen sind positiv, egal, ob die Kinder mithilfe Dritter oder auf natürlichem Wege gezeugt und geboren wurden – sofern Eltern mit ihren Kindern vor Beginn der Schulzeit offen darüber reden würden, wie sie gezeugt wurden.
„Ich glaube nicht, dass ich unserem Kind unsere Familie erklären muss, sondern es lernt halt von Beginn an, auch mit den Büchern und was wir ihm im Leben zeigen, dass das, was wir hier leben, ganz normal ist“, sagt Teresa in einem unserer Gespräche.
Im Sommer 2022 tragen Flo und Teresa die Vaterschaft beim Jugendamt ein, wie viele andere Eltern auch, die nicht miteinander verheiratet sind. Sie ziehen zusammen in einer Dreizimmerwohnung. Aber sie können sich beide nicht vorstellen, ewig zu dritt zusammen wohnen zu bleiben. Im Oktober 2022 kommt ihr Sohn zur Welt. Sie erleben die Geburt zusammen, das Wochenbett und landen direkt im Strudel des Elternseins, müssen einkaufen, Essen kochen, wickeln, das Baby tragen, mit ihm spazieren, Termine bei Ärzt:innen und Hebammen ausmachen, putzen, Wäsche waschen, vor Ermüdung schlafen. Teresa nimmt zwölf Monate Elternzeit, Florian zwei Monate – eine eher klassische Aufteilung, auch wenn er nur an zwei Tagen pro Woche fest arbeitet. Florian sagt dazu: „Ja. Im Nachhinein betrachtet, habe ich trotzdem immer ein bisschen zu viel gearbeitet.“
Florian sagt zu Teresa: „Du hast viel weniger Zeit, abends dein Ding zu machen, weil du stillst und unser Sohn bisher bei dir schläft. Ich gehe rüber in mein Bett und kann durchschlafen. Du hast seit eineinhalb Jahren keine erholsame Nacht mehr gehabt. Das ist schon der größte Unterschied.“
Teresa sagt, das sei das eine. Die Zeit mit ihrem Kind. Sie haben das so entschieden, für das erste Jahr. „Dafür hat Flo sich klassisch um die Waschmaschine gekümmert. Aber ich habe nie gedacht, Flo könnte auch mal wieder spülen oder die Wäsche machen.“
Mit Konflikten umgehen
Florian und Teresa streiten kaum, necken sich eher. Als Florian einmal den Kinderrucksack ihres Sohnes verliert, rollt Teresa zwar mit den Augen. Aber sie druckt Fotos des Rucksacks aus, laminiert die Blätter, hängt die Bilder überall an Laternenmasten im Viertel auf. Sie sagt: „Es könnte irgendwann ein Konflikt sein. Weil Flo so gerne Dinge verliert. Ich wünsche mir für meinen Sohn, dass er lernt, auf seine Sachen achtzugeben.“
Ich frage Florian: Nervt dich etwas an Teresa?
Erst schüttelt er den Kopf.
Flo: „Doch. Du findest manchmal so Sachen auf dem Sperrmüll und sagst: Och, da könnte ich was Schönes draus machen. Und dann stehen die Sachen hier eine Million Jahre herum und damit passiert überhaupt nichts mehr. Dann denke ich: Lass es doch einfach sein.“
Teresa lacht.
Viele andere Elternpaaren streiten, wer welche Sorgearbeiten übernimmt, über finanzielle Fragen, über Intimität nach der Geburt, oder wie sehr sich Großeltern in die Erziehung einmischen dürfen. Florian und Teresa haben vieles – auch dank des Kartenspiels – schon vor der Geburt besprochen.
An einem lauen Wochenende im Februar 2024, fast eineinhalb Jahre nach der Geburt des Sohnes, versammelt sich Teresa mit ihrer Familie in einem Ferienhaus auf dem Darß in Mecklenburg-Vorpommern: Drei ihrer Geschwister, ihre Mutter, ihre Nichte – und Teresas Sohn. Im hinteren Teil des Gartens sitzen Teresas Mutter und ihre Schwester in einem Holzpavillon, trinken Kaffee. Teresa steht davor.
Die Mutter freut sich auf Enkelkinder
Ich bin als Journalistin dabei und frage ihre Mutter im Gespräch: „Was hast du gedacht, als Teresa dir von ihrem Plan erzählte, mit Florian ein Kind zu bekommen?“ Sie lacht. „Gut, endlich mehr Enkelkinder.“
Florian war ein Freund der Familie, schon bevor er überhaupt Vater werden sollte. „Er ist anders als meine anderen Schwiegersöhne“, sagt Teresas Mama. Nur, dass Florian kein Schwiegersohn ist, eigentlich. „Er hilft sehr viel.“
Teresas Schwester grätscht hinein. „Bei uns ist das halt anders, mein Mann arbeitet in der Woche in einer anderen Stadt, kommt nur am Wochenende nach Hause. Ich bin selbstständig, er hat einen festen Job.“
Teresas Mutter schaut Teresa an, sagt: „Madämchen hat es gut und wird ganz schön verwöhnt.“ Sie meint: von Flo.
Die Sache mit der Intimität
Auch deshalb feiert Teresa, dass sie sich für das Co-Parenting entschieden haben. Sie wusste, welchen feministischen, gleichberechtigten Anspruch Flo an die Elternschaft hatte und erzählt davon, dass die beiden Stoffwindeln für ihr Kind nutzen, keine Einwegwindeln. Das bedeutet auch: Zwei bis drei Extrawaschgänge in der Woche nur für Windeln, um die sich auch Flo kümmert. „Er hat sich so viele Youtube-Videos angeguckt, was für Windelsysteme und Wickelformen es gibt“, sagt Teresa. Die beiden haben keinen Koch-, keinen Putzplan, „sondern das geschieht alles ganz natürlich. Wir haben uns neulich kurz gefragt: Geht es uns beiden so, dass sich das cool anfühlt? Das haben wir beide bejaht.“
Im Garten des Ferienhauses frage ich die Mutter weiter: „Wünschst du Teresa dennoch eine partnerschaftliche Beziehung?“ Sie antwortet: „Natürlich, das gehört doch auch dazu. Oder?“ Sie blickt zu Teresa. Hängt ein großes Fragezeichen dran.
Florian, Freund von Teresa und Vater ihres Sohnes
Die schaut in die Ferne, schweigt.
Später erzählt sie mir von einem Gespräch zwischen ihr und ihrem Bruder. Er habe gefragt: „Euer Kind sieht euch nie in einer romantischen Beziehung. Findest du das nicht problematisch?“ Teresa antwortete ihm: „Wir sind Scheidungskinder. Hast du Mama und Papa jemals in einer liebevollen Beziehung gesehen?“
Da ist es, dieses Bild der Familie, das tief in unseren Köpfen steckt. Dabei war das nicht immer so.
Wenn wir einen Blick zurückwerfen, waren bis in die neueste Geschichte hinein Liebe und Ehe getrennt. „Dabei waren die Familienstrukturen immer dynamisch und nie statisch. Die statische Kernfamilie, wie wir sie kennen, existiert eigentlich erst ab dem 20. Jahrhundert“, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes in ihrem Buch „Die Erfindung der Hausfrau – Geschichte einer Entwertung“. Lange Zeit hätten Menschen aus ökonomischen Gründen Ehen geschlossen, aus Vernunft, weil deren Eltern das so entschieden haben.
Manchmal fehlt Teresa die Romantik
Als wir uns nach dem Familienwochenende auf dem Darß in einem Rostocker Café wiedertreffen, sagt Teresa, dass ihr die intime, die romantische Liebe manchmal schon fehle. „Wir sind halt so sozialisiert, als ob wir ohne eine romantische Beziehung keine vollständigen Menschen seien. Meine Mutter hat es ja auch gesagt. Dabei hätte sie mich auch fragen können, wie es mir damit geht, nicht in einer romantischen Beziehung zu sein, ja sogar noch nie gewesen zu sein.“
Viele Menschen in Deutschland heiraten heute aus Liebe. Dabei gibt es noch andere Lieben: die platonische Liebe aus dem antiken Griechenland, die Minne, die Liebesdichtung unter Adligen, die christliche Nächstenliebe. Und Menschen, die meditieren, kennen die Metta, die liebende Güte. Trotzdem: Das Motiv der romantischen und körperlichen Liebe hat sich in unsere Gehirne eingebrannt. Die Soziologin Christine Wimbauer schreibt in ihrem Buch über die Zukunft der Liebe: „Gerade in der entzauberten, nicht selten feindseligen Moderne wurde die romantische Liebe kulturell enorm aufgewertet und zum höchst erstrebenswerten Gut, zum Hafen in einer herzlosen Welt.“
Ein intensiver Dreiklang
Teresa und Florian sind in freundschaftlicher Liebe verbunden, sind ein intensiver Dreiklang, wie Teresa sagt. Eine Familie. „Und trotzdem spielt auch Intimität eine wichtige Rolle in meinem Leben. Die lebe ich mit Flo nicht aus“, sagt Teresa. Florian dagegen lebe sich aus, zumindest gelegentlich, in Liebschaften. „Da wird mir natürlich gespiegelt, was mir fehlt. Nicht zwischen uns, aber mir für mich.“ Auch Teresas Alltag macht es ihr schwer. „Meine Zeitfenster, neue Menschen kennenzulernen, sind tagsüber zwischen neun und fünfzehn Uhr. Das ist jetzt nicht so die romantische Tageszeit.“ Am Abend kann sie nicht weg, weil sie stillt. Gleichzeitig kann sie sich aktuell nicht vorstellen, einen Partner oder eine Partnerin zu haben und das, was sie als Familie zu dritt teilen, zu verändern.
Teresa hat vor ein paar Monaten miterlebt, wie Florian sich verliebt. In Karl. Er blieb gern mal zum Essen. Dann saßen sie als Familie mit ihm am Tisch. Sie hatten nicht vereinbart, dass sie um Erlaubnis bitten müssen, wenn jemand übernachtet, Florian hat Teresa trotzdem immer eine Nachricht geschickt, wenn jemand mit ihm nach Hause gegangen ist.
An einem Abend vergisst Florian, ihr Bescheid zu geben, schickt ihr keine Nachricht aufs Handy. Und wenn Teresa aus ihrem Zimmer kommt, steht sie direkt in der Küche, muss hindurch gehen, um ins Bad oder nach draußen zu kommen. So betritt sie am nächsten Morgen die Küche, nach einer schwierigen Nacht, in der ihr Sohn oft wachgeworden ist. So steht sie da mit strubbeligem Haar und fühlt sich überrumpelt: Karl ist ja da.
„Dieser Morgen hat mir total gespiegelt: Ihr habt was am Laufen, und ich kann so was gerade nicht ausleben.“ Florian brummt. „Hmm.“ Und sagt: „Ja, in so einer kleinen Wohnung ist es schon netter, wenn man Bescheid sagt.“
Schwuler Sex
Ein paar Wochen später treffe ich mich mit Florian allein. Das mit dem Sex sei kein Problem für ihn, das könne er schnell und einfach organisieren. Aber auch er sei noch nicht bereit, jemanden wirklich in sein Leben zu lassen. In das gemeinsame Leben mit seinem Sohn und Teresa. Er will nicht, dass noch jemand jeden Tag mit beim Frühstück sitzt. Einem neuen Partner würde er Zeit und Aufmerksamkeit schenken wollen, das sei ihm zu viel. „Wenn mein Sohn um mich herumläuft, neue Sachen lernt, da will ich voll im Fokus bei ihm sein und mich nicht zweiteilen“, sagt er. So sei Karl nach wenigen Wochen wieder aus seinem und ihrem gemeinsamen Leben verschwunden.
Florian denkt nach, zwirbelt mit seinen Fingern über den Stoppelbart an Backen und Kinn, dann sagt er: „Es fühlt sich natürlich schon sehr klassisch an, so zu dritt. Ich kann mir auch nicht vorstellen, mit Teresa auf ewig und immer zu dritt zu sein.“
Er spricht an diesem Abend viel von Freiheit und von Identität. Jetzt erst, eineinhalb Jahre nach der Geburt, habe er verstanden, was es bedeute, Vater zu sein, Vater zu werden. Er sagt, er habe Angst. Angst davor, seine Identitäten nicht entwickeln zu können, weil er sich so sehr für die Vaterrolle aufopfere. „Ich sehe mich nicht zu einhundert Prozent als 24/7-Vater. Das bin nicht ich.“ Er spürt die Bedürfnisse, die an diesem anderen Leben hängen, nach Liebe, nach Nähe, Intimität, und Sex. „Ich bin ein schwuler Mann und manchmal fällt es mir schwer, Mutter-Vater-Kind zu spielen.“
Das auszusprechen wühlt ihn auf, sein Tonfall wird energischer, lauter, in seinem Stuhl beugt er sich erst vor, dann zurück und sagt: „Ich will mich verlieben, will an einer Beziehung wachsen, will mich ausleben, weil es zu mir gehört.“ Dann lenkt er ein: „Vielleicht sind diese Dinge aber gerade auch einfach nicht dran.“
Die Freundschaft hat sich verändert
Als wir zu dritt zum letzten Mal für diesen Text zusammensitzen, geht es um ihre Freundschaft. Denn nicht nur Florian, nicht nur Teresa haben sich jeder für sich verändert, auch ihre Freundschaft sei nicht mehr dieselbe. Früher haben sie zusammen herumgelungert, sagt Florian. Netflix gesuchtet, zusammen gekocht. Jetzt sitzen sie, wie viele andere Eltern, abends am Tisch, reiben sich die Augen und gähnen.
Teresa sagt: „Eigentlich bräuchte ich ein Freundschaftsdate mit Flo.“
Ich frage: „Seid ihr denn gerade eher mehr Eltern oder mehr Freunde?“
Teresa sagt: „Mehr Eltern.“
Florian stimmt zu.
Auch sie können sich als Eltern zerstreiten, können sich trennen, freundschaftlich und räumlich. Florian sagt: „Auch wir sind nicht davor gefeit, uns einander zu verletzen.“
Was Florian und Teresa vielleicht am meisten von anderen Elternpaaren unterscheidet: Sie sind offener für Veränderungen. Weil eine Freundschaft weniger Selbstverständlichkeit in der Befriedigung von Bedürfnissen bedeutet, weil man nicht automatisch „zuständig“ ist, etwa für Intimität, wie bei den meisten Liebespaaren. Bedürfnisse werden öfter besprochen und verhandelt, auch wenn sich etwas ändert, wie etwa der Wunsch nach einer Liebesbeziehung oder mehr Freiheiten. Florian muss für Teresa nicht alles erfüllen, muss nicht all ihre emotionalen Themen auffangen. „Flo ist halt der eine Freund. Ich tausche mich mit ihm aus – und mit einer Freundin teile ich andere Themen“, sagt Teresa. Florian fügt hinzu, für ihn liege eine große Freiheit ihres Modells in der „Möglichkeit, sich als Individuum zu entwickeln, und gleichzeitig das Gefühl zu haben, zu einer Familie zu gehören“.
Als sie heute das Kartenspiel wieder spielen, fallen alle Antworten so aus wie damals. Ja, sie stellen ihre Bedürfnisse für die Familie zurück. Ja, sie lassen einander Freiheiten. Ja, sie finden immer eine Lösung. Fast zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes hat sich viel im Leben von Florian und Teresa verändert, aber eines ist gleich geblieben: der Wunsch der beiden, eine Familie zu sein.
Vor Kurzem sind sie in eine neue, größere Wohnung gezogen – zu dritt. Aber: Sie planen schon das nächste Gespräch, wie sie in Zukunft leben wollen. Vielleicht zu dritt, vielleicht in getrennten Wohnungen, mit individuellen Tagen für das Kind. Aber immer mit einem gemeinsamen Abendbrot und immer so, dass sich alle drei wohl dabei fühlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen