Regierungskrise in Belgien: „Arizona“-Koalition wackelt

Der Versuch, zweieinhalb Monate nach der Parlamentswahl eine Regierung zu bilden, scheitert. Streitpunkt ist die Steuerpolitik.

Bart De Wever von der flämisch-nationalisten Partei N-VA am 22.8. auf dem Weg zu König Philippe Foto: Francois Lenoir/reuters

BRÜSSEL taz | Zweieinhalb Monate nach der Parlamentswahl im Juni droht Belgien eine neue politische Krise. Der mit der Regierungsbildung auf föderaler Ebene beauftragte Politiker Bart De Wever – ein prominenter flämischer Nationalist – hat überraschend sein Amt niedergelegt. Zuvor hatten sich die fünf an den Koalitionsverhandlungen beteiligen Parteien über die Steuerpolitik zerstritten.

Als Knackpunkt für die geplante „Arizona“-Koalition erwies sich die Besteuerung von Gewinnen aus Kapitalgeschäften. Die flämischen Sozialdemokraten von „Vooruit“ hatten eine Steuer in Höhe von zehn Prozent gefordert; die wallonischen Liberalen des „Mouvement Réformateur“ (MR) lehnten dies kategorisch ab. De Wever gelang es nicht, die Gegensätze zu überbrücken. Deshalb erklärte er am Donnerstag seinen Rücktritt.

Das Ruder übernimmt nun König Phillipe. Er hat den Rücktritt angenommen, zugleich jedoch neue Gespräche anberaumt. Am Freitag empfing er die Chefs der fünf bisher an der Regierungsbildung beteiligten Parteien nacheinander im Königspalast in Brüssel. Wie es danach weitergehen soll und wer die Verhandlungen in den nächsten Wochen leiten kann, war zunächst unklar.

In Brüssel zirkulieren mehrere Namen. In Frage kämen etwa der Chef der Liberalen, Georges-Louis Bouchez, oder die populäre frühere Premierministerin Sophie Wilmès, die gerade erst zur Vizepräsidentin des Europaparlaments gewählt worden ist. Denkbar ist aber auch, dass es De Wever nach einer Denkpause noch einmal versucht. Sein Rücktritt sei „nicht definitiv“, meint Bouchez.

Unter Zeitdruck

Alle Beteiligten stehen unter Zeitdruck. Bis Ende des Monats muss Belgien einen Kandidaten für die nächste EU-Kommission benennen. Bis zum 15. September muss das Land zudem bei der Brüsseler Behörde einen Plan zum Abbau des rund 25 Milliarden Euro hohen Budgetdefizits vorlegen. Die dafür nötigen massiven Kürzungen haben die Koalitionsgespräche von Anfang an belastet.

Für die Sozialdemokraten von „Vooruit“ ist die umstrittene Steuer auf Aktiengewinne eine „Trophäe“, mit der sie unpopuläre soziale Einschnitte gegenüber ihren Wählern rechtfertigen könnten. Für die liberale MR hingegen sind Steuererhöhungen tabu. Der Graben zwischen beiden Parteien ist schwer zu überbrücken, das Königreich Belgien wirkt erneut unregierbar.

Die alte „Vivaldi“-Koalition unter dem nur noch geschäftsführenden Ex-Premier Alexander De Croo hatte bei der Parlamentswahl am 9. Juni (dem Tag der Europawahl) die Mehrheit verloren. Die Regierungsbildung in Belgien gilt als schwierig, da es unterschiedliche Parteien in allen drei Regionen (Flandern, Wallonie und Brüssel) gibt. Diese Regionen haben noch dazu völlig unterschiedlich gewählt.

So lagen in der französischsprachigen Wallonie und in der Hauptstadt Brüssel nicht wie in Flandern die Nationalisten, sondern die Liberalen vorn. Die dort bisher tonangebenden Sozialisten und Grünen haben die Wahl verloren, die Grünen sogar massiv. „Sie sind vernichtet worden“, kommentierte ein Diplomat. Deshalb sind sie auch nicht an den laufenden Koalitionsgesprächen beteiligt.

Statt Grün dominieren in der belgischen Politik derzeit die Farben Gelb (De Wevers Partei N-VA), Orange (die Christdemokraten von CD&V), Blau (MR) und Rot (Vooruit). Sie finden sich auch in der Flagge des US-Bundesstaats Arizona wieder – deshalb sprach man in Brüssel von der „Arizona“-Koalition. Nun steht sie auf der Kippe.

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